Cool, verletzlich, voller Hoffnung. Das ist Timey.


»Wir sind Lügner umgeben von Lügen, und wenn ich euch erzähle, was passiert ist, muss auch ich lügen. Sonst wäre es nicht die Wahrheit.«


Kalifornien in den 80er-Jahren: Strand, Musik, Rebellion


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California Girl

Aus dem amerikanischen Englisch von Sophie Zeitz

Kalifornien in den 80er-Jahren. Das bedeutet Freiheit, Sex und Rebellion. Mittendrin ein vierzehnjähriges Mädchen, das zwischen ihrer Hippie-Künstlerin-Mutter in L. A. und dem Professoren-Vater in Berkeley hin- und herpendelt. Schmerzhaft wird sie sich der Lügen und Exzesse der Erwachsenen bewusst und antwortet darauf, wie es nur ein Teenager kann. Auf der Suche danach, wo sie hingehört und wer sie werden wird, probiert sie Outfits, Identitäten und Drogen und rast mit uns durch ein Leben zwischen erster Liebe und absoluter Verunsicherung.

Mehr zum Inhalt
San Fernando Valley, in den Achtzigerjahren. T ist vierzehn und pendelt zwischen ihren geschiedenen Eltern, zwischen dem Vater, der Physikprofessor in Berkeley ist, und der Mutter, die Künstlerin ist und gerade ihr Studium in L.A. beendet hat – zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. In L.A. hat sie B und N, die Zwillinge, die ihre besten Freundinnen sind und die aus ihr ein echtes California Girl machen. In Berkeley gibt es Jeni und Grunge-Partys, dank der sie die neue Freundin des Vaters aushält. So langsam werden T ein paar Wahrheiten klar: warum ihre Eltern sich getrennt haben, zum Beispiel, oder warum ihre Tante Selbstmord begangen hat oder wie das funktioniert mit dem Sex, von dem alle reden, und den nur sie noch nicht zu haben scheint. Mit der Wahrheit kommt die Erkenntnis und so wächst das Mädchen T zwischen Polaroid, Rollschuhen, Marihuana und dem Soundtrack der Achtziger ein Stück in Richtung Erwachsensein. Ein Liebesgedicht an alle Frauen, über die Jahre, die uns geprägt haben, und in denen wir die Schwelle von Unschuld zu verlorener Unschuld überschritten haben.

Hardcover Leinen
304 Seiten
erschienen am 27. September 2023

978-3-257-07254-9
€ (D) 23.00 / sFr 31.00* / € (A) 23.70
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Leseprobe

Jede Menge Lügen hier

Unsere Sackgasse ist voll davon. Gegenüber wohnt Ron, der beim Film ist. Er ist Kame­ramann, aber nicht für die üblichen Filme. Er dreht Pornos. Den Nachbarn erzählt er, er dreht Spiel­filme, weshalb sie ständig fragen, welche Stars er diesmal vor der Kamera hatte, und dann sagt er, ach, keine A­-Promis, ihr würdet sie nicht kennen.

Daneben wohnt Craig, der Junge, in den ich mich verlieben werde. Sein Vater hat gelogen. Und zwar so: Früher hat die ganze Familie in Chicago ge­lebt – Craig, seine Schwester, sein Bruder und ihre Eltern. Eines Morgens kam Craig zum Frühstück runter und sah, wie sein Vater mit einem Koffer in der Hand auf Zehenspitzen aus der Haustür schlich.

»Dad«, sagte er. »Wo gehst du hin?«

»Nach Kalifornien«, antwortete sein Vater. »Ich hole euch bald nach.«

Ein Jahr später wohnten Craig und sein Bruder bei seinem Vater und dessen neuer Frau in unserer Sackgasse, mit einem cremefarbenen Cadillac und einem riesigen Wohnmobil in der Einfahrt, während seine Schwester und seine Mutter noch in Chicago sind und den Männern der Familie nachtrauern. Als Craigs Bruder ums Leben kam, sagte Craigs Dad den einzig wahren Satz, den er je gesagt hat. Er hat zu Craig gesagt: »Ich wünschte, es hätte dich ge­troffen.«

Zwei Häuser weiter wohnt eine Baptistenfamilie. Mach bloß kein Babysitting dort, denn kaum schaut die Baptistenmutter weg, will der Baptistenvater dir die Hand unter dein jüdisches T-­Shirt schieben, um deine kleinen jüdischen Brüste zu begrapschen. Danach gehst du nie wieder hin, und dir wird jedes Mal schlecht, wenn du den Haarspray­-Helm in dem puderblauen Chevrolet Impala die Sackgasse herunterrollen siehst, in dessen Heckscheibe dich die Sonne blendet.

Drei Häuser weiter, am Ende der Sackgasse, wohnt Michaela. Michaela hat einen Schnurrbart und einen schwarzen Zahn. Ihr Körper quillt in er­staunlichen Wulsten aus ihren Kleidern. Sie schielt und sieht aus wie die Doppelgängerin von Meat Loaf. Sie ist um die zwanzig, aber sie hat immer noch keinen Führerschein, was auch egal ist, weil ihre Eltern kein Auto haben, das fährt. Dafür haben sie Hunderte von Vogelkäfigen im ganzen Haus, und alles stinkt nach Vogelkacke. Ihre Lüge kommt noch. Sie wird mich ins Mark treffen. Wenn ich mich in den Jungen von gegenüber verliebe, wird Michaela mich beiseite nehmen und mir sagen, dass Craig in Wirklichkeit sie liebt, was aber nicht stimmt, weil Craig mich liebt. Sie wird mich mit ihren schielenden Augen ansehen und mir erzäh­len, sie hätte Craig entjungfert, bevor ich in die Wish Avenue zog, und er hätte ihr gesagt, dass er sie liebt. Craig wird schwören, dass es nicht wahr ist, was heißt, dass einer von beiden lügt. Man wird sehen.

Am Ende der Sackgasse zwischen Michaela und den Baptisten wohnt Sheri Baby. Sheri Baby ist siebzehn, hat spindeldürre Beine und langes, glat­tes, blondes Haar. Sie bewegt sich auf ihren schma­len, schlingernden Hüften wie eine Viper. Ihre Jeans ist so eng, dass sie an Schritt, Po und Knie weiß ist wie eine zweite Haut. Sheri Baby ist verrückt nach der Band Rush und findet Männer mit Falsettstim­me sexy. (Auf welchem Planeten Falsett sexy ist? Auf keinem Planeten.)

Wenn Sheri Baby die sechsjährige Tochter des Kameramanns auf dem Bürgersteig spielen sieht, geht sie mit schlingernden und schwingenden Hüf­ten auf sie zu und singt mit ihrem von Rush abge­schauten Falsett: »Ab die Post ins Hosenlaaaand!«

Wie auf Knopfdruck fängt Rons Tochter zu heu­len an und rennt schluchzend ins Haus, unfähig, ihrer besorgten Mutter zu erklären, was passiert ist. Dann, und du kannst deine Swatch danach stellen, stürmt die Mutter auf die Straße und brüllt: »Hör auf zu sagen, dass sie ins Hosenland muss!« Doch Sheri Baby hat sich inzwischen im Gebüsch ver­steckt und lacht sich schief, dass ihre strichförmi­gen Augenbrauen hüpfen, und die Fransen an ihrer handgenähten Ledertasche flattern vergnügt. Oder sie ist schon an der Ecke Balboa und Rinaldi und hält den Daumen raus, unterwegs irgendwohin, wo es cool ist, während Mom mich zwingt, das Laub zu rechen, den Rasen zu mähen und das Auto zu waschen, falls ich am Wochenende rauswill.

Wenn ich also gerade bei uns in der Einfahrt stehe, brüllt Rons Frau mich an. Dass ich es nicht war und dass ich keine Ahnung habe, was das Ho­senland ist, ist ihr völlig egal. Sie hat ein traumati­siertes Kind, um das sie sich kümmern muss, also geht sie wieder rein und erzählt ihrem Kind Lügen, um es zu trösten. Sheri Baby schlängelt sich davon, die Hand vor dem Mund, die Augenbrauen wie schwarze McDonald’s­Bögen. Ich lächle ihr zu, als wäre ich in ihren Hosenland­-Streich eingeweiht, weil sie mir vermutlich sonst eine reinhauen würde. Also lüge ich auch, mit einem Lächeln.

Drei Häuser von Michaela entfernt, was nicht weit genug ist, wohnen wir. Die Lügen der Nach­barn sind nichts im Vergleich zu der Lüge, die mir meine Mutter heute Abend erzählen wird. Mom und das Glas Chablis aus dem Fünfliterkarton ha­ben beschlossen, dass ich alt genug bin. Was ich bezweifle. Die neue Art von Lüge ist vielleicht noch schlimmer als die anderen, weil du danach alles, was du zu wissen glaubtest, nach außen stülpen und mit Spiegeln, Raumspray und Nachtsichtgeräten auf den Kopf stellen musst.

Mom beginnt die Lüge, indem sie von der Zeit erzählt, als meine Eltern verheiratet waren. Darü­ber redet sie fast nie, außer um zu erklären, dass sie mich bekamen, um ihre Ehe zu retten, und sich scheiden ließen, als ich drei war. Im Gegensatz zu meinem Vater (der mir alles erzählt – abwarten) ist sie eine sparsame Geschichtenerzählerin. Aber heute Abend will sie reden. Ich schätze, sie ist ein­sam, weil ihr Freund verreist ist, und dank meines wattierten bhs sehe ich neuerdings fast alt genug für eine Unterhaltung aus. Als Kind wusste ich immer, wann sie gerade keinen Mann hatte. Dann schickte sie mich ins Bett, legte die ganze Nacht Nina­-Simone­Platten auf und klimperte am Kla­vier mit. Meine kleine Nachtmusik. Aber heute Abend hatte sie ein anderes Spätprogramm für mich: die Swinger­-Story. Hier die Kurzfassung.

Mom hat diese Freunde vom College, Ike und Judy. Ich kenne sie mein ganzes Leben. Judy sagt, an dem Tag, als Mom mit mir aus dem Krankenhaus kam, hätte sie mich ihr an die Brust gelegt. Mom mochte das Konzept des Stillens nicht, und ich schätze, ich musste nehmen, was ich kriegen konnte. Ike und Judy haben drei wilde Söhne, die mir eine Menge Schmerzen zufügten (mich vom Baumhaus schubsten, mir ein Brett auf den Kopf fallen ließen, mir einen Stock zwischen die Speichen steckten, sodass ich vom Rad fiel etc.). Deswegen freute es mich riesig, als Ike und Judy eine Tochter adoptier­ten. Erst recht, weil sie kein Baby mehr war. Sie war schon acht, und man konnte richtig mit ihr spielen. Irgendwann beschlossen Ike und Judy, eine offene Ehe zu führen, was hieß, wie mir meine Mutter er­klärte, dass sie ins Bett gehen konnten, mit wem sie wollten, solange beide einverstanden waren. Offensichtlich waren häufig beide einverstanden. Sie er­zählten meinen Eltern: »Es macht Spaß«, und: »Ihr solltet es mal ausprobieren.« Also probierten es meine Eltern aus. Mit Ike und Judy.

Okay. Das ist eine Überraschung. Aber es erklärt auch manches. Als ich klein war, haben Moms Freunde nie nach meinem Vater gefragt. Nach acht Jahren Ehe kehrten Moms und Dads Freunde in ihre jeweilige Ecke zurück, als hätten Mom und Dad sich nie geliebt. Nur ein paarmal, als ich klein war, berührten sich ihre Welten wieder, wenn Judy fragte: »Wie geht’s deinem Dad?« Und dann hörte sie zu, wenn ich von ihm erzählte wie von dem Be­wohner eines anderen (aus meiner Sicht parallelen) Universums. Am Ende lächelte Judy und sagte: »Richte ihm bitte liebe Grüße von mir aus.« Bei meinem nächsten Besuch überbrachte ich die Bot­schaft gewissenhaft, und sie löste bei meinem Vater einen Regenbogen an Emotionen aus, von Über­raschung (Was, von Judy?) zu Freude (Wie nett von ihr. Die meisten Freunde deiner Mutter haben ja nie ... Aber Judy war immer schon anders. Süß irgend wie ... Sehr süß, um genau zu sein ...) zu ge­bauchpinselter Männlichkeit (Und sie hat ja auch immer mit mir geflirtet).

Jetzt weiß ich, warum. Weil Dad und Judy sich laut meiner Mutter prächtig amüsierten, im Schlaf­zimmer kicherten und am Esstisch heimliche Bli­cke tauschten. Natürlich hatte meine Mutter auch etwas mit Ike, was, wie sie berichtet, »nur okay« war. Sie war im College schon mal mit ihm zusam­men gewesen und stand einfach nicht besonders auf ihn. Sie hatte das Gefühl, sie hätte den Kürzeren gezogen.

Meine Mutter holt Luft. Über uns scharren die Palmen an den Stromleitungen. Eigentlich habe ich den Schock schnell verdaut, weil in der Schule alle, die ich kenne, es mit irgendwem machen oder kurz davor sind oder es gerade hinter sich haben – lange, bevor mir klar wurde, dass es überhaupt schon jemand macht. Neuerdings ist Sex überall, späht um die Ecke oder schleicht sich von hinten an, wenn ich am wenigsten damit rechne. Mehr als das Swinger­Ding schockiert mich, dass meine Mutter mit mir rumhängen will.

Normalerweise ist abends »ihre Zeit«, in der sie Wein trinken, zeichnen und auf ihren alten Heils­armee­ Lautsprechern Reggae­Platten hören will. Mein Leben lang hat sie mich bei Sonnenuntergang mit dem Satz ins Bett geschickt: »Zisch ab und träum süß.« Aber heute hat sie den Arm auf die Lehne des Korbstuhls drapiert, der sich langsam auf löst, die Beine hochgelegt, Füße nackt, Zigarette zwischen den Fingern baumelnd, als würde Zeit keine Rolle spielen. Als hätte sich ihr Vollzeitjob, der schuld ist, dass sie nur abends und am Wochen­ende für Kunst und Reggae Zeit hat, im Äther auf­gelöst.

Ich sollte dazu sagen, dass sie so was Ähnliches letztes Jahr schon einmal gemacht hat, bevor ihr derzeitiger Freund in unser Leben trat. Auch da saß sie abends nach der Arbeit auf der Terrasse und ent­spannte sich, während die träge summende Pumpe unseres kleinen, unbeheizten Pools die Nacht mil­der wirken ließ, als sie war. Mom rief, und ich kam, mit schlaksigen Gliedern und glänzender Zahn­spange. Ich schätze, sie hielt mich schon damals für älter, als ich war, denn sie erzählte mir von ihrem Liebeskummer wegen eines Mannes, von dem ich nie gehört hatte.

Es konnte nicht funktionieren, sagte sie. Er war schwarz, und es wäre für seine Karriere zu riskant gewesen, sich öffentlich mit einer Weißen zu zei­gen, also hatte sie die Beziehung beendet, weil sie nicht auf Dauer geheim gehalten werden wollte. Zum ersten Mal dämmerte mir, dass meine Mutter noch ein anderes Leben hatte. Mir wurde klar, dass meine Wochenenden bei Dad ihr die Gelegenheit gaben zu tun, was sie wollte. Und zusammen zu sein, mit wem sie wollte. Was seltsam war, denn wenn ich aus dem Haus ging und zurückkam, war sie immer da. Und dann stellt sich raus, dass sie in der Zwischenzeit ganze Beziehungen führte.

Ich schätze, der Mann mit der Karriere, zu der eine weiße Frau nicht passte, war eine Ausnahme, denn sonst habe ich alle Männer in ihrem Leben kennengelernt. Da war Alvah (er zog bei uns ein und flehte sie an, ihn zu heiraten), Michael (den sie heiratete und damit zu Ehemann Nummer zwei bzw. Stiefvater Nummer eins machte, bis er sie be­trog und sie ihn rauswarf ) und Sam (er glaubte nicht an die Ehe, also verließ sie ihn). Auf diese Männer kamen elf Jahre ihres Lebens, und dazwi­schen war nicht viel Platz.

Und trotzdem hatte es offenbar noch einen gege­ben. Der schon wieder weg war. Ich erinnere mich, dass ich ein paar Fragen hatte.

F: In was für einem Beruf ist es ein Problem, dass er eine weiße Freundin hat?

A: Politik.

F: Hattest du eine Tüte über dem Kopf, wenn du vom Wagen zu seiner Haustür gegangen bist?

A: Wir waren nie bei ihm. Das war Teil des Pro­blems. Er hat mich nicht in sein Leben ge­lassen.

F: War es schwer, Restaurants zu finden, wo euch keiner kennt?

A: Wir waren nie in Restaurants.

Erst dachte ich, sie redete mit mir, weil sie einsam war. Es war ihr erstes Jahr als Single, und in diesem Jahr hatte sie ihren Master gemacht, sich für Jobs beworben, war von Nordkalifornien nach Südkali­fornien gezogen und hatte einen Weg gefunden, weiter nebenher Kunst zu machen. Ich dachte, wir hatten so viel gemeinsam erlebt, dass sie mich viel­leicht fast wie eine Freundin betrachtete.

Aber die Geschichte ihres heimlichen Liebhabers war nur die Einleitung zu einem Aufklärungsge­spräch, genauer gesagt, es ging um Verhütung, oder noch genauer, sie wollte mit mir zum Arzt, um mir ein Diaphragma anpassen zu lassen. Ich weiß nicht mehr, wie sie die Verbindung zwischen ihrem heim­lichen Liebhaber und meinem zukünftigen Dia ­phrag ma knüpf te. Meine Mutter kam übergangs­los von Keramik zum Schweißen zur Fotografie zu Männern, Themenwechsel, die in dem Moment plausibel schienen, aber nicht in der Rückschau. Ich erinnere mich, dass ich einen Lachanfall bekam und fast in unseren kleinen algentrüben Pool fiel, der den Großteil des Gartens einnimmt, als ich rief: Ich bin noch Jungfrau!

Deswegen versuche ich heute Abend zu durch­schauen, ob Ike und Judy auch irgendwas mit Ver­hütung zu tun haben. Weil Mom weiß und ich weiß, dass ich mit einem Typen zusammen bin, der ganze vier Jahre älter ist als ich. Ich warte, aber sie er­wähnt weder die Pille (schlecht, findet sie) noch die Spirale (noch schlechter – ihre Freundin Ruth ist davon steril geworden und adoptiert seitdem stän­dig Hunde und Katzen, und diesen Papagei, der Silberbesteck klaut), Kondome (wir leben nicht mehr in den Fünfzigern) oder Diaphragmen (die einzige Methode, die die Mühe wert ist). Stattdes­sen setzt sie die Swinger-­Story fort.

Nach dem Experiment mit Ike und Judy finden meine Eltern neue Kandidaten in Form von Dads bestem Freund Rixie und seiner französischen Frau Françoise, die Ärztin ist. Auch das schockt mich nicht, weil wir, als ich drei war und Mom Dad ver­lassen hatte, mit Rixie und seinen beiden Söhnen zusammenzogen. Ein Jahr lang waren wir eine Fa­milie, bis meine Mutter feststellte, dass sie keine Lust mehr hatte, mit Rixie zusammen zu sein. Ich habe ein paar Erinnerungen an die Zeit, vor allem an Rixies Sohn, der ein Jahr älter war und immer wollte, dass ich die Hose runterzog und mich auf sein Gesicht setzte. Einmal taten wir es vor den Nachbarskindern, die zu kreischen anfingen und mit dem Finger auf uns zeigten, und das war das letzte Mal. Selbst mit vier verstand ich, dass wir et­was Verbotenes taten.

Daran merkst du übrigens, dass du erwachsen wirst. Du erinnerst dich an Sachen, die du längst vergessen hattest, und siehst sie mit Abstand. Aber zurück zu meiner Story.

Einer der Vorteile, wenn man Ärztin ist, sagt Mom, ist der Zugang zu Betäubungsmitteln. Fran­çoise schnüffelte Äther, was hieß (ich habe nach­gefragt), dass sie ein Tuch in ein Schälchen mit Äther tauchte, es sich an die Nase hielt und vom Inhalieren high wurde. (Morgen in der Schule ist diese Info Gold wert. Wie über Sex reden plötzlich alle über Drogen; und alle tun wir so, als wüssten wir Bescheid.) Mein Vater, der sich an den Wochen­enden seines Harvard­-Studiums mit Meskalin zu­gedröhnt und als Postdoc in Princeton mit Pillen vollgepumpt hat, war zu allen Äther­-Schandtaten bereit. Und so schnüffelte und schlief er mit Fran­çoise.

Mom und Rixie schliefen auch miteinander, al­lerdings verliebten sie sich. Rixie war der erste Mann, der ihr zuhörte und sich ihre Kunst ansah, sagt sie, was mein Vater nie tat, obwohl sie ihre Werke in Augenhöhe an die Wand hängte. Dabei kann man die Kunst meiner Mutter eigentlich gar nicht übersehen. Jedenfalls spürte mein Vater, dass zwischen Mom und Rixie mehr war. Und auch wenn er sich mit Françoise amüsierte, fühlte er sich bedroht, und deshalb berief er sich auf »Die Regel«.Dass Swinger Regeln haben, widerspricht allem, was ich mir darunter vorstellte, denn es ging doch gerade darum, die Regeln über Bord zu werfen. Aber es gibt sie. Und die wichtigste Regel war (ich habe nachgefragt), wenn einer stopp sagt, muss der andere aufhören.

»Stopp«, sagte mein Vater.

»Nein«, sagte meine Mutter.

Ein paar Monate nachdem meine Mutter mei­nen Vater und Rixie Françoise verlassen hatte, fand man Françoise tot mit dem Gesicht in einer Äther­schale.

»Überdosis«, sagt Mom. »Das war echt traurig.«

Sie drückt die Zigarette in einem Aschenbecher aus, den ich in der Schule getöpfert habe, und schickt mich ins Bett.

Später am Abend steige ich aus dem Fenster. Das tue ich jede Nacht. Morgens stehe ich vollkommen neben mir, komme zu spät, vergesse alles und binde mir nicht mal die Schuhe zu. Aber nachts sprudelt in mir das Leben. Vor allem in Nächten wie dieser, wenn die Santa­-Ana­-Winde trocken und warm und tief über das Land fegen und Pinienduft mitbrin­gen, der sich in meinem Haar verfängt.

Ich erinnere mich an das Haus, in dem wir mit Rixie und seinen Söhnen wohnten. Und wie Rixie die Jungs mit dem Gürtel bestrafte. Und an das eine Mal, als er es bei mir tat. An die Fliehkraft bei dem U­-Turn, den mein Vater machte, als ich den Gürtel erwähnte, wie er vor dem Haus auf die Bremse trat und »Du bleibst hier« rief, als er die Tür zuschlug, sich aufplusterte und wütend zur Haustür stürmte, um seinem ehemals besten Freund zu sagen, dass er ihn umbringen würde, falls er je wieder die Hand gegen seine Tochter erhebe.

Ich schwebe durch die stille, aufgeräumte Nach­barschaft, während in meinem Kopf ein Tornado tobt, und in den Straßenlaternen schimmert die Leere der Welt. Gelbe Lichtflecken sprenkeln die Häuser, wenn die Bäume zittern und tanzen. Ich erfinde Lügen, die ich dir erzählen kann. Übe sie im Kopf. Spreche sie mit trockenen Lippen vor. Sterne am Himmel.

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Die Autorin

Foto: © Tommaso Boddi / Getty Images
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Tamar Halpern

Tamar Halpern ist Filmemacherin und Autorin. Sie hat Rundfunkjournalismus und Filmproduktion studiert; ihre Dokumentarfilme sind preisgekrönt. Halpern lehrt Regie und Drehbuch und ist Gründerin des Start-ups CitySearch. Sie lebt in Los Angeles.


 

Ein Gespräch mit Tamar Halpern

»Ein Liebesgedicht an das Kalifornien der 1980er-Jahre«

 

Worum geht es in Ihrem Roman California Girl
Tamar Halpern:
California Girl folgt einem Teenager-Mädchen aus den 1980er Jahren, das nach der Scheidung ihrer Eltern sowohl in Südkalifornien (Surfkultur, falsche Brüste, Homophobie, Pornos, Rock 'n' Roll, Drogen) als auch in Nordkalifornien (intellektuelles Streben, freie Liebe, Homosexualität, Punk, Drogen) lebt. Ihre Geschichten über die Aufhebung der Rassentrennung, sexuelle Begegnungen, das Unbehagen in der Vorstadt, Kleinkriminalität und Rassismus werden vor dem Hintergrund ihrer gebildeten Bohème-Familie erzählt, während sie selbst versucht zu verstehen, wer sie ist und mit welcher Klasse sie sich letztendlich identifizieren oder wogegen sie rebellieren sollte. Untermalt von einem knackigen 80er-Jahre-Rock-Soundtrack. California Girl ist ein Liebesgedicht an das Kalifornien der 1980er Jahre und das Überschreiten der Schwelle zur verlorenen Unschuld. Die Heldin, Timey, ist eine Gestaltwandlerin, die in zwei Städten gleichzeitig lebt und ihre Identität mit bipolarer Präzision an jede Stadt anpasst. Ihr Hauptwohnsitz ist bei ihrer biederen Künstlermutter im San Fernando Valley. Ihr Reihenhaus mit dem mit Algen gefüllten Pool wird von der ewigen Sonne, Drogendealern und Nachbarn aus der Pornoindustrie beleuchtet. Jedes zweite Wochenende fliegt Timey auf richterliche Anordnung vom LAX nach SFO, um ihren Vater, einen theoretischen Physiker, in Berkeley zu besuchen – einer Stadt, die sich vom politischen Pulverfass zum dystopischen Verfall entwickelt hat, während Jugendliche in ihren Badewannen LSD kochen und ihre Eltern offen und unverblümt Homosexualität, Bisexualität, Crossdressing, Psychiatrie, Drogen und östliche Religionen erkunden. Während sich Timeys Geschichte entfaltet, entwickelt sie sich in einem radikalen und entscheidenden Jahr vom Mädchen zur Erwachsenen. 

Ort der Handlung ist die Vorstadt von L.A. Inwiefern prägt es ein Teenager-Leben, in einer Vorstadt aufzuwachsen? 
Tamar Halpern:
Die 1980er Jahre waren die letzte Generation amerikanischer Teenager, die sich austoben, rebellieren und verschiedene Rollen ausprobieren konnte, ohne dass ihre Fehler digital aufgezeichnet wurden. Das galt vor allem für die Vorstädte, wo Eltern, die in Arbeiterfamilien aufgewachsen waren, zu Mittelklasse-Verkäufern von Whirlpools, Wasserbetten und Wohnmobilen wurden. Das Geld, die weitläufigen Vorstadthäuser und die cremefarbenen Cadillacs, die sich diese Eltern leisten konnten, als sie aufwärts mobil wurden, ließen viele Kinder unbeaufsichtigt und frei herumlaufen. Ihre Eltern waren mit ihrer Arbeit beschäftigt oder genossen die Früchte ihrer Arbeit. Da ich in den 1980er Jahren aufgewachsen bin und in den Vorstädten lebte, habe ich in California Girl Fußnoten zu Themen wie Geburtenkontrolle, Swinger-Kultur, Scheidungsraten, Anrufbeantworter und »Just Say No« eingefügt, um zu verdeutlichen, dass die 80er Jahre sowohl in sozialer als auch in politischer Hinsicht ein unkontrollierter Freiwildstaat waren. Die Streichung von Sozial- und Bildungsleistungen durch den Bund in Verbindung mit der massiven Deregulierung von Unternehmen brachte eine neue Form des amerikanischen Kapitalismus hervor, als die Vorstädte das Ackerland verdrängten. Die Jugendlichen und ihre Eltern reagierten darauf, indem sie immer materialistischer und konsumfreudiger wurden, wobei Los Angeles das Rennen um den auffälligen Konsum eindeutig gewann. Die Hauptfigur verliert ihre Unschuld im Schatten des Unschuldsverlusts in ihrem eigenen Land.  

Das Buch spielt in den 80er Jahren. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit? 
Tamar Halpern: Ich erinnere mich an eine Welt voller leuchtender Farben und weit offener Möglichkeiten. Es gab Raum zum Denken, zum Fühlen, zum Staunen, zum Fühlen von Traurigkeit, die nur man selbst kannte. Bücher, Musik und Drogen beflügelten unsere Fantasie und unsere Zukunftsträume. Alles wartete darauf, entdeckt zu werden, wie reife Früchte an einem Ast. Es war nur eine Frage der Straße, die man entlangging. Oder in welchen Plattenladen man ging. Autos waren wichtig, nicht nur, um dorthin zu kommen, wohin man wollte, sondern auch, weil sie die eigene Persönlichkeit widerspiegelten. Warst du hart? Reich? Unbekümmert? Oldtimer oder praktisch? Es gab eine Menge frittiertes Essen und Videospiele. Für einen Vierteldollar bekam man zwischen zwei und zwölf Minuten puren, unverfälschten Spaß. Lipgloss, der wie Kaugummi schmeckte. Sassoon und Jordache-Jeans. Gefedertes Haar. Die Zähne waren schiefer und damit origineller, wie die von Cher damals. Die Menschen besaßen viele Hamster und Pet Rocks. In jedem Haus und in jedem Geschäft gab es Gegenstände und Ideen, von denen man nicht wusste, dass sie existieren könnten, und so war jede Tür ein Portal in eine potenziell neue Welt.  

Es ist Ihr Debütroman, nachdem Sie zuvor schon für Film und Fernsehen geschrieben haben. Inwiefern hat sich die Arbeit am Buch von Ihren vorherigen Arbeiten unterschieden? 
Tamar Halpern: Eine Protagonistin, die die Welt um sich herum berühren, schmecken und riechen konnte, während sich ihr innerer Diskurs frei auf ihren neurologischen Pfaden und Verbindungsdendriten bewegte – das war ein spektakulärer Bruch mit den Regeln von Film und Fernsehen. Das Eindringen in die Privatsphäre, das mir als Autorin erlaubt war, die Art und Weise, wie ich ihren Schmutz und ihre Diamanten nach Belieben durchsieben konnte, ohne mir Gedanken über das Zeigen, nicht das Erzählen, oder die Struktur von drei Akten oder Mittelpunkten oder Dénouements zu machen –  für mich war das der Himmel. Ich gab mir die Erlaubnis, mich zu entfesseln. 

Der Stil des Buchs ist außergewöhnlich. Es ist die Stimme von Timey, die einen unglaublichen Sog entwickelt. Wie gelang es Ihnen, sich sprachlich so authentisch einzufühlen in die jugendliche Protagonistin? 
Tamar Halpern:
Ich habe mein früheres Leben heraufbeschworen, mein inneres Teenager-Ich, das immer noch auf der Lauer liegt und Probleme verursacht, wenn sie versucht ist, sich mit jemandem zu prügeln, oder sich danach sehnt, die Liebe auf einer tieferen Ebene zu verstehen, und ich habe ihr gesagt, sie solle sich nackt ausziehen und auf die Buchseiten stellen. 

Timey ist ein Scheidungskind. Inwiefern war das wichtig für den Roman? 
Tamar Halpern: Im städtischen Kalifornien der 1980er Jahre war die Scheidung eine unausweichliche Tatsache. Sie prägte eine ganze Generation und veränderte unsere Vorstellung davon, was Liebe bedeutet. Timey braucht diese physische Unterbrechung in ihrem Leben, damit sie zwei geografische Orte und zwei Persönlichkeiten durchqueren kann, während sie herausfindet, wer sie ist. Beim Drehbuchschreiben sind Konflikte ein starker Motor für die Geschichte. Ich wollte Timey so viel wie möglich geben, gegen das sie ankämpfen und mit dem sie fertig werden muss. 

Welche Rolle spielen erste Liebe und erster Sex für die Geschichte? 
Tamar Halpern: Es gibt keinen Übergang zum Erwachsensein ohne erste Liebe und erste sexuelle Erfahrungen. Es ist das Geburtsrecht des Werdens. 

Was bedeutet Heimat für Sie? 
Tamar Halpern: Das ist eine schwierige Frage. Der größte Teil dieses Buches wurde geschrieben, während mein Mann und ich 35 Mal in Los Angeles umzogen. Sieben Jahre lang packten wir ein und aus, beluden seinen 55er Chevy-Truck und fuhren zur nächsten vorübergehenden Bleibe, während wir glaubten, dass der Bau unseres Hauses in Los Angeles einfacher sein würde, als es tatsächlich war. Aber schließlich haben wir es geschafft. Und jetzt, nachdem wir in so vielen Häusern anderer Leute gelebt und studiert haben, was Heimat für sie bedeutet, formt sich langsam eine neue Definition von Heimat. Aber ich weiß noch nicht, was es ist. 

Haben Sie schon weitere Buchideen, von denen Sie uns etwas verraten können?
Tamar Halpern: Als ich in meinen späten Teenagerjahren und frühen 20ern war, lebte ich im Süden Arizonas. Ich habe dort eine Menge Dinge erlebt, die mir immer noch den Atem rauben. Der süße Duft von Kreosot, der sich nach einem Monsunregen entfaltet. Das Geräusch von Kojoten bei einer Jagd. Die Leute, mit denen ich abhing, als wir Koks schnupften und niedere Arbeiten verrichteten und das helle Sonnenlicht um jeden Preis mieden, weil es uns unsere Fehler und zerstörten Träume vor Augen führte. Wir blinzelten uns den Weg frei, fühlten mit den Händen, schwitzten die Giftstoffe aus unseren Poren und spürten den Druck der Klimaanlage auf unsere sonnenverbrannten Arme, während die Sonnenuntergänge den Himmel in den herrlichsten Farben erleuchteten, die es gibt, und uns dazu brachten, innezuhalten, den Atem einzuziehen und uns zu fragen, warum. Die Spuren dieser Zeit in der Wüste sind für immer in mir. Deshalb schreibe ich eine Sammlung miteinander verbundener Kurzgeschichten im Geiste des 1990er Indie-Films Slacker, die von dieser Zeit und diesem Ort inspiriert sind. Die Geschichten mit dem Titel SUNDOWN handeln von Nachtschwärmern, Überlebenden, Durchreisenden, Drogendealern, Sternenguckern, Herumtreibern, Trickbetrügern, Spelunkern und Menschen, deren größter Wunsch es ist, in den Sonnenuntergang zu verschwinden. Die Charaktere repräsentieren die erste Welle von Amerikanern, die in den 1990er Jahren vom Kapitalismus zerrüttet wurden, und die erste Generation, die mit dem gleichen Aufwand nach der Mittelklasse-Existenz sucht, die ihre Eltern genossen. Arizona bot einen erschwinglichen Ort, um zu bleiben und sich ein Leben aufzubauen. Unter der brennenden Sonne der Sonoran-Wüste ist ihre Welt ein Vorläufer der globalen Erwärmung. Die Charaktere nehmen uns mit auf Reisen, die wie die Mündung einer Schrotflinte aufblitzen, um dann in den glorreichen Sonnenuntergängen zu versinken, die aufleuchten und in der düsteren Nacht verschwinden. 

Was inspiriert Sie? Musik, Kunst, Literatur, Filme etc. ?
Tamar Halpern: Alles inspiriert mich: Essen, Musik, Reisen, brillante Gespräche, vor allem Kunst. Wenn mich etwas nicht inspiriert, dann macht es mich traurig. Und Traurigkeit kann selbst zu einer Form der Inspiration werden. Durch ihren unbändigen Enthusiasmus hat meine Mutter mir beigebracht, wie verrückt nach allem zu greifen, was ich in meinen Mund, meine Augen und meine Ohren stopfen kann und was mir Freude bereitet. Vieles von dem, was sie mir als Kind vorstellte (Linton Kwesi Johnson, Sushi, Chamberlain, experimentelle Fotografie, bolivianische und Navajo-Textilien) wurde damals als seltsam angesehen. Sie verstand es wirklich, das Seltsame und Wunderbare, das Originelle zu finden und es sich zu eigen zu machen. Sogar ihre Kunstwerke, bis hin zu ihrer letzten Serie skulpturaler Fotografien vor ihrem Tod, inspirieren mich, weiterzumachen, ohne zu wissen, wie oder warum oder wann. 

Das Gespräch führte Stephanie Uhlig, Mai 2023 
aus dem amerikanischen Englisch von Stephanie Uhlig 
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