100 Jahre Friedrich Dürrenmatt – am 5. Januar 2021
«Man muss im Theater zu Hause sein können [...]. Es muss eine Familie sein.»

Ein zufälliger Blick in unsere Gegenwart
Bereits im Vorwort zu seinem ersten aufgeführten Theaterstück «Es steht geschrieben» verweist Friedrich Dürrenmatt darauf, dass es sich bei Parallelen zu «heutigem» Geschehen sicherlich um Zufälle handeln müsse. Meinte er diesen Hinweis ernst? Wusste er vielleicht bereits, dass eben dieser Hinweis so zeitgemäß bleiben würde, wie seine Stücke selbst? Immerhin wird sich die eine oder andere Schülerin heute bei der Pflichtlektüre von «Der Besuch der alten Dame» vielleicht fragen, ob der Autor die Bewegung #MeToo damals schon vorausgesehen hat. Ein Aktivist könnte eine Inszenierung von «Die Physiker» sehen und sich überlegen, dass die «schlimmstmögliche Wendung» unserer Geschichte, der Geschichte des Menschen an sich, mit der Klimakatastrophe nun eingetreten ist. Friedrich Dürrenmatt hatte, aller Wahrscheinlichkeit nach, keine Möglichkeit in die Zukunft zu blicken, uns bei unserem heutigen Treiben zuzusehen. Viel mehr befasste er sich jedoch in seinen Werken regelmäßig mit den ganz großen Themen: So setzte er sich sowohl mit immerwährenden politischen Konflikten (Bsp. «Nächtliches Gespräch mit einem verachteten Menschen») auseinander, als auch mit grundlegenden philosophischen Themen, wie Schuld (Bsp. «Die Panne») und Macht (Bsp. «Die Frist») . Es dürfte Theatermachern und Zuschauern gleichermaßen schwerfallen, keine Parallelen zu ziehen. In der Vielfalt seiner Werke wird sich immer etwas finden, das man sich zu eigen macht. Tatsächlich erwartete Friedrich Dürrenmatt von Theatern (und vor allem von Schauspielern) nicht Perfektion, sondern Intensität, mit der sie die von ihm erdachten Menschen auf die Bühne bringen sollten. Durch diese Einladung fühlen sich viele angesprochen. In den vergangenen zehn Jahren betrug die Zahl der Inszenierungen allein an deutschsprachigen professionellen Theatern im Schnitt jährlich über 30, ganz zu schweigen von unzähligen Schulaufführungen und internationalen Fassungen. Die Vielfalt findet sich also nicht lediglich in Dürrenmatts Werken und Themen wieder, sondern auch – und gerade – in ihrer Inszenierung.
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Dürrenmatt auf der Bühne
Friedrich Dürrenmatt – bis heute der Situation gewachsen
Kaum einer kommt an «Der Besuch der alten Dame» und «Die Physiker» vorbei, sei es am Theater oder in der Schule. Die beiden gehören bis heute zu den meistgespielten Stücken auf deutschen Bühnen. Mit diesen, aber auch mit seinen anderen Werken schaffte es Friedrich Dürrenmatt Fragen aufzugreifen, die die Menschen umtreiben, oder sie zumindest umtreiben sollten, wenn es nach dem Autor geht: es sei die Pflicht eines Menschen, sich über die Welt klarzuwerden. Dürrenmatt tat dies schreibend.
Mit seinen Stücken, seinen Romanen, seinen Hörspielen, Komödien, Novellen besteht das Werk Dürrenmatts aus weitaus mehr als einer alten Frau und drei verrückten Wissenschaftlern. Er mutet seinem Publikum und seinen Lesern viel zu, eckt an, konnte von Anfang an mit Protest und Pfiffen rechnen, erlangte Berühmtheit. Seine Verdichtungen führen die Wirklichkeit noch immer in einer solchen Deutlichkeit vor Augen, dass man sich ihr nicht entziehen kann. Heute vielleicht mehr denn je: «Nur das Komödiantische ist möglicherweise noch der Situation gewachsen», befand Dürrenmatt und wendete sich dem Theater zu, so wie sich die Theater bis heute ihm zuwenden.
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Briefwechsel
Das Gewicht eines Briefwechsels bemisst sich nicht immer nach dessen Umfang. Was sich Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt schriftlich mitteilten, sind nicht einmal 40 Briefe, Postkarten und Notizen. Aber was hier erstmals gedruckt vorliegt, sind außergewöhnliche Dokumente einer kritischen, respektvollen, unter dem Druck des zunehmenden Ruhms der beiden erst ironisch-neckischen, dann ernsthaft gefährdeten, ja gescheiterten Freundschaft. Die beiden berühmtesten Schweizer Autoren des 20. Jahrhunderts waren für den Literaturbetrieb, namentlich im Ausland, aneinandergekettet wie ein Komikerpaar, was die beiden gelegentlich belustigte und meistens ärgerte. Gemein hatten sie die Erfahrung einer 1939–45 verschonten und eingeschlossenen Schweiz und deren Schuld im 2. Weltkrieg; die je andere Beschäftigung mit Kierkegaard und Brecht; die unterschiedliche, aber gleich entschiedene Armee- und Antikommunismuskritik; den Werkplatz am Schauspielhaus Zürich mit dem von beiden verehrten Dramaturgen Kurt Hirschfeld. Bevor Frisch und Dürrenmatt in den 50er Jahren als Schweizer weltweit zu Stars avancierten, fanden in diesen Briefen ›kollegiale Werkstattgespräche‹ statt, zwischen zwei Autoren, die strenggenommen nicht einmal der gleichen Generation angehörten. In Frischs Eröffnungskompliment vom 22. Januar 1947 für Dürrenmatts erstes Dramamanuskript ›Es steht geschrieben‹ ist ein patronales Wohlwollen gerade deshalb zu spüren, weil er es so sehr zu vermeiden sucht; und Dürrenmatts »Abschiedsbrief« an Frisch vom 11. Mai 1986 – für Hans Mayer »eines der großen literarhistorischen Dokumente dieses Jahrhunderts« – beginnt mit dem Satz: ›Lieber Max, es war für Dich einst ein Problem, dass ich zehn Jahre jünger bin als Du. Das spielt jetzt keine Rolle mehr. Unserer beider Rutschbahn, im Nichts endend, die wir noch hinunterzuschlittern haben, ist ungefähr gleich lang.‹ Ein Nachwort von Peter Rüedi, langjähriger Kritiker beider Autoren, stellt den Briefwechsel in den Zusammenhang von Leben, Werk und Zeitgeschichte.
240 Seiten
erschienen am 30. September 1998
978-3-257-06174-1
€ (D) 19.90 / sFr 28.90* / € (A) 20.50
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