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Patricia Highsmiths ›Carol‹ im Kino

Die inzwischen mehrfach ausgezeichnete und vielfach gelobte Verfilmung von Patricia Highsmiths lesbischer Liebesgeschichte läuft derzeit erfolgreich mit Cate Blanchett und Rooney Mara im Kino. Die Romanvorlage wurde erstmals 1952 unter dem Pseudonym Claire Morgan veröffentlicht.

Filmtrailer. Taschenbuch mit Filmhalbumschlag im Diogenes Verlag erschienen.

Erst wenige Jahre vor ihrem Tod erschien Patricia Highsmiths zweiter Roman unter dem richtigen Namen der Autorin. Zu diesem Buch, dem einzigen mit Happy-End, wurde sie Ende 1948 inspiriert, als sie in der Weihnachtszeit in einem Kaufhaus in Manhattan als Verkäuferin arbeitete, um etwas Geld zu verdienen. Nie wieder schrieb Patricia Highsmith, die den Roman unter dem Eindruck einer persönlichen Begegnung begann, so sinnlich, so poetisch, so erotisch.

Aus dem Nachwort der Autorin zur amerikanischen Neuausgabe 1984

Zu diesem Buch wurde ich Ende 1948 inspiriert; damals lebte ich in New York. Ich hatte gerade Zwei Fremde im Zug beendet, das 1949 erscheinen sollte. Es war kurz vor Weihnachten, ich war ein wenig trübsinnig und außerdem knapp bei Kasse; um etwas Geld zu verdienen, arbeitete ich als Verkäuferin in einem großen Kaufhaus in Manhattan während des sogenannten vorweihnachtlichen Hochbetriebs, der etwa einen Monat dauert, aber meine Ausdauer reichte nur für ungefähr zweieinhalb Wochen. 

Ich wurde in der Spielwarenabteilung eingesetzt, genauer gesagt an der Theke mit den Puppen. Es gab die unterschiedlichsten Puppen – kostspielige und weniger kostspielige, mit echtem oder künstlichem Haar, und Größe und Ausstattung waren sehr wichtig. Kinder, die oft mit der Nase kaum an die Glasplatte der Theke reichten, drängelten sich mit Mutter oder Vater oder beiden her, geblendet von der Vielfalt nagelneuer Puppen, die weinen konnten, mit den Augen klimpern, manchmal sogar auf den Füßen stehen konnten und sich selbstverständlich am liebsten umzogen. Hochbetrieb herrschte in der Tat, und meine fünf oder sechs Kolleginnen hinter der langen Theke und ich konnten uns von halb neun Uhr morgens bis zur Mittagspause kein einziges Mal hinsetzen. Wenn wir Pech hatten, nicht einmal in der Pause. Und am Nachmittag war es nicht anders.

Die Geschichte von Carol Aird – einer verheirateten, gesellschaftlich gutgestellten, reiferen Frau und Mutter – und der neunzehnjährigen Therese Belivet, die verlobt ist, leidenschaftlich gerne fotografiert und als Teilzeitverkäuferin arbeitet. Foto: © dcm.

Eines Vormittags trat in dieses Chaos aus Lärm und Kommerz eine blonde Frau im Pelzmantel. Mit unentschlossener Miene schlenderte sie zu der Theke mit den Puppen – sollte sie eine Puppe kaufen oder lieber etwas anderes? –, und ich glaube mich zu erinnern, dass sie geistesabwesend ein Paar Handschuhe gegen ihre Handfläche schlug. Vielleicht fiel sie mir auf, weil sie allein war oder weil ein Nerzmantel eine Seltenheit war und weil sie blond war und Licht auszustrahlen schien. Immer noch in Gedanken versunken, kaufte sie eine Puppe, eine von den zwei oder drei, die ich ihr gezeigt hatte, und ich schrieb ihren Namen und ihre Adresse auf die Kaufquittung, denn die Puppe sollte in einen benachbarten Bundesstaat geliefert werden. Es war nichts Besonderes, die Frau zahlte und ging. Dennoch war mir sonderbar und schwindelig zumute, fast wie kurz vor einer Ohnmacht, und gleichzeitig euphorisch, als hätte ich eine Vision gehabt. 

[…]

Am Montag musste ich dem Kaufhaus melden, dass ich nicht zur Arbeit kommen konnte. Eine der kleinen Rotznasen im Kaufhaus hatte mich vermutlich angesteckt, doch neben der Krankheit brütete ich auch ein Buch aus: Fieber regt die Phantasie an. Ich begann nicht sofort mit dem Schreiben. Ich lasse Einfälle gerne wochenlang köcheln. Und als Zwei Fremde im Zug erschien und Alfred Hitchcock kurz darauf die Filmrechte erwarb, weil er es verfilmen wollte, sagten meine Verleger und auch meine Agentin: »Schreiben Sie noch so ein Buch, das festigt Ihren Ruf als …« Als was? Zwei Fremde im Zug war bei Harper & Bros., wie der Verlag damals hieß, als »Suspense-Roman« erschienen, und so war ich unversehens eine »Suspense-Autorin« geworden, obwohl das Buch in meinen Augen in kein Genre gehörte, sondern lediglich ein Roman mit einer interessanten Geschichte war. Falls ich einen Roman über eine lesbische Beziehung schriebe, würde ich dann als Verfasserin lesbischer Bücher eingestuft werden? Damit musste ich rechnen, selbst wenn ich in meinem ganzen Leben kein zweites derartiges Buch schreiben würde. Deshalb beschloss ich, das Buch unter einem anderen Namen anzubieten. Und 1951 war es fertig. Ich hatte es nicht über mich gebracht, das Buch zehn Monate lang wegzuschieben und etwas anderes zu schreiben, nur weil es aus kommerziellen Erwägungen heraus klüger gewesen wäre, einen weiteren »Suspense-Roman« zu schreiben.

Die junge Patricia Highsmith. Foto: © KEYSTONE/Picture-Alliance/Photoshot

Harper & Bros. lehnten Carol/Salz und sein Preis ab, und ich war genötigt, einen anderen amerikanischen Verlag zu finden – zu meinem Bedauern, denn ich wechsle nicht gern den Verlag. Salz und sein Preis erhielt einige ernsthafte und ernstzunehmende Besprechungen, als die gebundene Ausgabe 1952 erschien. Doch der wahre Erfolg stellte sich im Jahr darauf mit der Taschenbuchausgabe ein; es wurden fast eine Million Exemplare verkauft, die zweifellos weit mehr als eine Million Leser fanden. Begeisterte Leserzuschriften richteten sich an Claire Morgan, wie das Pseudonym lautete. Ich weiß noch, dass ich monatelang jede Woche mehrmals Kuverts mit zehn bis fünfzehn Leserbriefen zugeschickt bekam. Viele Briefe habe ich beantwortet, doch um alle zu beantworten, hätte ich auf einen Formbrief zurückgreifen müssen, wozu ich nie bereit war.

Foto: © dcm

Meine junge Protagonistin Therese mag in meinem Buch wie ein schüchternes Veilchen wirken, doch in jenen Tagen waren Bars für Homosexuelle lichtscheue Etablissements irgendwo in Manhattan, und Leute, die solche Bars aufsuchen wollten, stiegen eine Station vor oder nach der richtigen Haltestelle aus, damit sie nicht in Verdacht gerieten. Was den Leuten an Salz und sein Preis gefiel, war, dass es ein Happy-End für die beiden Hauptpersonen gab oder zumindest die Chance einer gemeinsamen Zukunft. Bis zu diesem Buch hatten männliche und weibliche Homosexuelle in amerikanischen Romanen für ihre Aberration bezahlen müssen, indem sie sich die Pulsadern aufschnitten, sich im Swimmingpool ertränkten oder sich zur Heterosexualität bekehrten (!) oder einsam, elend und gemieden einer Depression anheimfielen, die der Hölle gleichkam.

Viele der Briefe, die mich erreichten, enthielten Aussagen wie diese: »Ihr Buch ist das erste Buch dieser Art mit einem glücklichen Ende! Wir begehen nicht alle Selbstmord, und viele von uns sind glücklich.« Andere schrieben: »Danke, dass Sie so eine Geschichte geschrieben haben. Sie ist meiner eigenen Geschichte nicht unähnlich…« Oder: »Ich bin achtzehn und lebe in einer Kleinstadt. Ich fühle mich so einsam, weil ich mit niemandem sprechen kann…« Manchmal schrieb ich zurück und schlug dem Briefschreiber vor, in eine größere Stadt zu ziehen, wo man mehr Menschen kennenlernen konnte. Und wenn ich mich recht erinnere, waren es ebenso viele Briefe von Männern wie von Frauen, was ich als gutes Omen für mein Buch auffasste. Und es hat sich bewahrheitet. Die Briefe kamen jahrelang; noch heute kommt ein-, zweimal im Jahr ein neuer Leserbrief. Ich habe nie ein zweites derartiges Buch geschrieben. Mein nächstes Buch war Der Stümper. Ich lasse mich nicht gern in Schubladen stecken. Amerikanische Verleger lieben Schubladen.

24. Mai 1989

 

Regisseur Todd Haynes hat Carol/Salz und sein Preis  mit Cate Blanchett, Rooney Mara und Kyle Chandler verfilmt. Drehbuch: Phyllis Nagy. Produktion: Film4, Killer Films, Number 9 Films.

Der Film ist für sechs Oscars nominiert.