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  • »Ich habe kein Recht zu verstummen« – Ein Interview mit Sasha Filipenko

    Der neue Kriminalroman von Sasha Filipenko, Der Schatten einer offenen Türbasiert auf einer wahren Geschichte. Im Interview berichtet der im Exil lebende Autor von den Kriminalfällen, die seinen Roman inspiriert haben und spricht über die Herausforderungen des Schreibens angesichts des Krieges. Wie sich seine Perspektive verändert hat und welche Verantwortung er als Schriftsteller empfindet, gibt es jetzt zu lesen.

    Ihr neuer Roman ist ein philosophischer Kriminalroman – warum haben Sie sich für diese Form entschieden?
    Zum einen liegen meinem Buch zwei reale Kriminalfälle zugrunde, die ich ineinander verflechten wollte. Zum anderen experimentiere ich gern und probiere gern etwas Neues aus. Ich wollte nicht nur die beiden Detektivgeschichten kombinieren, sondern auch die Krimistory mit einer richtigen griechischen Tragödie, in der, wie Joseph Brodsky sagte, nicht der Held sterben muss, sondern der Chor.

    Was waren das denn für Kriminalfälle, die der Geschichte zugrunde liegen? Wie sind Sie darauf gestoßen, und wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?
    Diese aufwühlenden Geschichten haben mir meine ehemaligen Kollegen erzählt, Journalisten. In dem einen Fall ging es darum, dass ein russischer Oligarch Gutes tun wollte und Hunderten in Heimen untergebrachten Kindern und Jugendlichen einen Urlaub am Meer spendierte. Alle waren glücklich, bis diese Jugendlichen reihenweise Suizid begingen. Der andere Fall war ein Missverständnis rund um DNA-Verunreinigungen bei der Spurensicherung, das in Deutschland passiert ist. Wobei ich das alles zuerst nicht glauben konnte, bis ich auch aus anderen Quellen davon erfuhr. Später habe ich, wie so oft bei meiner Arbeit, Interviews mit den Betroffenen geführt, das heißt, ich habe Teenager in russischen Kinderheimen zu ihrer Lebensrealität befragt, und parallel dazu meine griechische Tragödie entwickelt und in einen Kriminalroman verpackt. Ich wollte von den Folgen guter Taten erzählen: wie auf den ersten Blick wohlmeinende Handlungen richtige Katastrophen nach sich ziehen können …

    Kann man die Gefängnis-Stadt Ostrog als Gleichnis für Russland lesen?
    Ja, natürlich! Genauso wie eine der siamesischen Zwillingsschwestern, denen die Leserinnen und Leser auf den Seiten dieses Buches begegnen. Sie vertritt und predigt alle sogenannten «traditionellen russischen Werte». Meiner Meinung nach ist das heutige Russland leider genauso hoffnungslos krank wie Ostrog im Roman, in dem der großangelegte Krieg in der Ukraine schon lange vor 2022 vorausgesagt wurde.

    Sie leben mittlerweile in der Schweiz, weil es in Belarus und Russland nicht mehr sicher ist für Sie. Wie wirkt sich dieser Perspektivwechsel auf Ihr Schreiben aus?
    Ich konnte mehrere Jahre lang gar nicht schreiben. Angesichts des Krieges habe ich mir wie viele andere Schriftsteller die Grundsatzfrage gestellt: Können wir überhaupt weitermachen? Erst jetzt kehre ich zum Schreiben zurück, und ich glaube, mein nächster Roman wird europäischen wie belarussischen Leserinnen und Lesern gleichermaßen verständlich sein. Das Wichtigste, was mir klar geworden ist: Ja, ich muss weiterhin Zeuge sein, muss unsere Zeit abbilden, wie ich das auch in meinen früheren Büchern gemacht habe. Und zwar allein schon, weil wegen meiner Arbeit, wegen meiner Texte und Äußerungen Strafverfahren gegen mich laufen und meine Eltern gewissermaßen als Geiseln genommen wurden. Sie mussten bereits Hausdurchsuchungen und Arreste erleben und werden immer wieder verhört – vor allem, wenn ich wieder mal in einem Interview etwas sage, das den belarussischen Behörden nicht gefällt. Da habe ich einfach kein Recht zu verstummen.            

    Trotz der düstersten Themen erzählen Sie immer mit (schwarzem) Humor. Was ist für Sie der Stellenwert des Humors in der Literatur?
    Humor ist meine Rettung. Ohne Humor wäre ich wahrscheinlich längst durchgedreht. Das Leben ist voll von schwarzem Humor, ob es uns gefällt oder nicht. Ich glaube, dieses Buch enthält viel Kummer, viel Bitternis, aber auch eine traurige Ironie, ohne die ich es gar nicht hätte schreiben können. Ich wollte schon immer mal einen Kriminalroman verfassen, in dem ein Ermittler ein Verbrechen untersucht, das er selbst begangen hat … Aber keine Sorge, das ist kein Spoiler – das soll neugierig machen!      


    Der Schatten einer offenen Tür
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    Der Schatten einer offenen Tür

    Aus dem Russischen von Ruth Altenhofer
    Die gottverlassene Provinzstadt Ostrog wird von einer Suizidserie von Jugendlichen im Waisenhaus erschüttert. Kommissar Alexander Koslow aus Moskau soll die Ermittlungen in die Hand nehmen, doch die örtliche Polizei hat ihre eigenen Theorien. Als Petja, ein Sonderling mit einem Herz für die Natur, verhaftet wird, glaubt Koslow nicht an dessen Schuld. Aber warum geriet Petja damals derart außer sich, als der Bürgermeister von Ostrog den Heimkindern einen Griechenland-Urlaub spendieren wollte?

    Hardcover Leinen
    272 Seiten
    erschienen am 25. September 2024

    978-3-257-07159-7
    € (D) 25.00 / sFr 34.00* / € (A) 25.70
    * unverb. Preisempfehlung
    Auch erhältlich als

    Sasha Filipenko, geboren 1984 in Minsk, ist ein belarussischer Schriftsteller, der auf Russisch schreibt. Nach einer abgebrochenen klassischen Musikausbildung studierte er Literatur in St. Petersburg und arbeitete als Journalist, Drehbuchautor, Gag-Schreiber für eine Satireshow und als Fernsehmoderator. Sein Roman Die Jagd war ein Spiegel-Bestseller. Sasha Filipenko ist leidenschaftlicher Fußballfan und wohnte bis 2020 in St. Petersburg. Er musste mit seiner Familie Russland verlassen und lebt in der Schweiz.

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  • »Die Geschichte wiederholt sich.« Ein Interview mit Sasha Filipenko

     

    In Ihrem neuen Roman Kremulator geht es um Pjotr Nesterenko, den Direktor des Moskauer Krematoriums in der Stalin-Zeit. Wie kam es zu dieser Idee?
    Sasha Filipenko: Ich hatte von diesem Pjotr Iljitsch Nesterenko in groben Zügen gehört, ahnte aber nicht, was für ein erstaunliches Leben er hatte. Dank der Menschenrechtsorganisation »Memorial«, die mittlerweile in Russland zerschlagen wurde, bekam ich Zugang zu der Akte des Verfahrens gegen Nesterenko nach seiner Verhaftung 1941 durch den sowjetischen Geheimdienst und konnte die Verhöre lesen. Die haben mich sehr beeindruckt, obwohl der Fall an sich nur einer von unzähligen anderen zu dieser Zeit war. Aber wenn man liest und begreift, was rundherum passiert ist, dann ist das sehr eindrücklich. Was mich an Nesterenkos Leben am meisten fasziniert, sind die vielen Situationen, in denen er sich entscheiden musste. Und dass er diese Wahl nicht immer richtig traf. Darüber wollte ich schreiben.

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  • Der Soundtrack zu ›Das Damengambit‹ von Walter Tevis

    Sie ist jung. Süchtig. Ein Schachgenie.

    Das Damengambit von Walter Tevis ist das Buch zur erfolgreichsten Netflix Mini-Serie aller Zeiten. Ein Roman über das Genie eines jungen Mädchens, die in einer Männerwelt ihren Weg geht – und gewinnt. Hier gibt es den Soundtrack zur Serie mit passenden Zitaten aus dem neuen Roman.                                                                               

    Foto: © Netflix, Inc. All rights reserved
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  • »Der Staat tut alles, damit die Menschen die Grausamkeiten des Sowjetregimes vergessen, und unsere Aufgabe ist es, das nicht zuzulassen.« – Ein Interview mit Sasha Filipenko

    Alexander ist ein junger Mann, dessen Leben brutal entzweigerissen wurde. Tatjana Alexejewna ist über neunzig und immer vergesslicher. Die alte Dame erzählt ihrem neuen Nachbarn ihre Lebensgeschichte, die das ganze russische 20. Jahrhundert mit all seinen Schrecken umspannt. Nach und nach erkennen die beiden ineinander das eigene gebrochene Herz wieder und schließen eine unerwartete Freundschaft, einen Pakt gegen das Vergessen.

    Wir haben mit Sasha Filipenko über seinen neuen Roman gesprochen.

    Foto: Lukas Lienhard / © Diogenes Verlag
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  • Andrej Kurkow im Gespräch über seinen Roman ›Graue Bienen‹

    In Graue Bienen erzählt Andrej Kurkow vom Leben eines Bienenzüchters im russisch-ukrainischen Grenz- und Kriegsgebiet. Er überlebt nach dem Motto: Nichts hören, nichts sehen – sich raushalten. Ihn interessiert nur das Wohlergehen seiner Bienen. 

    Wir haben uns mit dem Autor über seinen Roman und die politische Lage in der Ukraine unterhalten.

    Foto: Regine Mosimann / © Diogenes Verlag
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  • Krieg und Frieden. In der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland – ein Abenteuerbericht von Benedict Wells

    Gegen 17 Uhr füllt sich der Bahnhof in Wladiwostok. Ein Haufen Soldaten tritt schwatzend durch das Eingangstor und passiert die Sicherheitskontrolle, neben mir nimmt eine zahnlose alte Frau Platz. Sie hat offenbar Probleme mit ihrem Gepäck und redet minutenlang in klagendem Tonfall auf mich ein – dass ich kein Wort Russisch spreche: nicht so wichtig. Auf den Wartebänken gegenüber sitzen mehrere Familien mit Kindern, aber auch ein paar Rucksacktouristen, die auf Englisch miteinander reden und laut lachen, eine hat ein Fahrrad dabei. Noch sechs Stunden bis zur Abfahrt. Eine Woche wird die Fahrt mit der Transsib von Wladiwostok nach Moskau dauern. Es wird eine Reise durch Putins Russland, durch ein Land mit vielen Gesichtern und Meinungen, in einem alten Zug voller Geschichten.

    Foto: © Benedict Wells
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  • »Ich bin anders. Ich sehe mehr als andere. Und ich spüre das auch.« Viktorija Tokarjewa im Gespräch

    In ihrem neuen Buch Auch Miststücke können einem leidtun erzählt Viktorija Tokarjewa vom Leben auf der Datscha und dem Überlebenskampf in der Großstadt, von der Bohème und der ländlichen Armut, von unerwarteter Güte und der Bosheit der Menschen, von Schicksalsschlägen und glücklichen Wendungen, von der Gelassenheit des Alters, vom Ungestüm der Jugend und immer wieder von den Seltsamkeiten der Liebe.

    Foto: © Isolde Ohlbaum
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