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Was wir uns von Jackson Lamb abgucken

Ja, wir geben es zu. Jackson Lamb ist nicht der netteste Typ. Laut Lady Di sind zwar manche von uns an ihn gewöhnt, aber »andere könnten Anzeige erstatten«. Zu seiner Bürokultur in Slough House gehören Schimmelpilze, und die sind noch das Harmloseste an der Aldersgate Street. Das heißt aber nicht, dass er nicht so einige Sprüche draufhat, die man sich abgucken könnte, wenn man möchte, dass das eigene Leben ein wenig mehr Spaß macht.

Photo: © Apple

»Mir ist zu Ohren gekommen, dass ihr Arschgeigen keine glücklichen Hühner seid.«
    Das war Jackson Lamb. Die Arschgeigen waren sein Team.
    »Deshalb habe ich dieses Treffen einberufen, damit ihr euren Unmut äußern könnt.«
    »Also …«, begann River.
    »Entschuldigung, sagte ich ›ihr‹? Ich meinte mich.«

Wir beginnen fortgeschritten und abgeklärt. Ist Lamb beim Psychologen gewesen? Jedenfalls erkennt er an, dass seine lahmen Gäule nicht glücklich sind. Das ist möglicherweise mehr, als sich die meisten Chefs getrauen. Und Lamb weiß auch, wie wichtig gute Kommunikation und Ehrlichkeit in einer Beziehung ist. Dass es auch in Ordnung ist, die eigenen Bedürfnisse zu äußern und Grenzen zu setzen. Machen Sie das auch mal, dann sehen Sie, wie gut es tut.

»Shirley hat dir etwas zu sagen.«
    »Oh, Scheiße.«
    »Ich glaube, du meinst: ›Was gibt’s, Dander?‹ «
    »Ja, das habe ich wohl gemeint«, sagte Lamb. »Aber meine Autokorrektur hat zugeschlagen.«

Im ersten Moment würde so eine Erwiderung das Gegenüber beruhigen – Gott sei Dank, so war das nicht gemeint, das Ausgesprochene nur ein Impuls –, im zweiten Moment würde sie das Gegenüber noch hämischer treffen: Wenn »Scheiße« schon das redigierte Wort ist, welches war dann das Original? Wir würden so nicht mit Shirley reden, klar, sondern mit überheblichen Schnöseln, die glauben, alles zu wissen.

»Standish hat mich ermahnt, gesünder zu leben, deshalb habe ich ein bisschen entgiftet. Ich habe mir den Sprudel aus Ihrem Kühlschrank geholt. Ich dachte, Sie hätten sicher nichts dagegen.«
    »… das ist Champagner.«
    »Ach, wirklich? Der Geschmack kam mir gleich komisch vor.«

Diese Taktik kann natürlich nicht nur bei Champagner angewendet werden. Erdbeertörtchen sind ab jetzt nicht mehr sicher, ebenso wenig Mon Chéris (auf der Verpackung waren Kirschen drauf!) oder Früchtebowle. Wichtig dabei ist, noch bevor auffällt, dass was fehlt, zu gestehen und »du hast sicher nichts dagegen, oder?« zu sagen, denn wer – außer uns – würde darauf schon mit einem Doch antworten?

Photo: © Apple

»Du warst da, in Hos Haus, irgendwann in den frühen Morgenstunden. Das heißt, du wusstest, dass da was im Busch war. Aber du hast es nicht gemeldet. Dienstanweisung Nummer sowieso …«
    »Siebenundzwanzig drei«, sagte Lamb.
    »Wenn du meinst.«
    »Die Drei steht in Klammern.«
    »Ist mir scheißegal, und wenn es auf Sanskrit dort steht, die Anweisung hat einen Grund! Wenn du wusstest, dass auf einen deiner Leute ein Anschlag verübt werden soll, ist das Protokoll sonnenklar. Du meldest es nach oben. In diesem Fall an mich.«
    »Normalerweise hätte ich das getan. Aber es lagen besondere Umstände vor.«
    »Welche denn?«
    »Ich hatte keine Lust.«

Müssen wir noch mehr sagen? Die Antwort auf alles darf sein: »Ich hatte keine Lust.« Besondere Umstände liegen schon länger immer vor.

»Ich hätte ja mitfahren können, aber …«
    »Schon klar, du hattest keine Lust. Darauf wollte ich auch nicht hinaus. Coe hat ein Messer dabei, wenn man Shirley glauben darf, aber ansonsten sind sie unbewaffnet. Nur mal angenommen, zwei von ihnen treffen auf diese Bande. Wie wird das wohl ausgehen?«
    »Tja, wie du weißt, bin ich ein unverbesserlicher Optimist«, sagte er. »Aber ich erwarte, dass alles in die Hose geht, wie immer.«

Ganz ehrlich, diesen Ratschlag würden manche von uns auch geben, wenn sie Jackson Lamb nicht kennen würden. Als Pseudopessimist kann man nie enttäuscht werden. Wichtig dabei ist, nur klein und heimlich hoffen, dabei zur Sicherheit groß herumposaunen, dass alles schiefgeht, und so ab und zu überrascht werden von guten Neuigkeiten. Mehr möchten wir gar nicht.

Er wandte sich wieder seinen lahmen Gäulen zu und wies mit dem Daumen in Welles’ Richtung. »Das ist jemand aus dem Park. Und diese Deppen sind von hier. Ich kann mir ihre Namen nicht merken.«

Wir behaupten, dass es gruselig ist, wenn sich jemand einen Namen beim ersten Mal merkt. Wer kann das schon? Deswegen schlagen wir vor, das auch so ehrlich zu sagen, wie es Jackson Lamb bei Welles tut.
    Natürlich bezweifeln wir, dass Lamb – auch mit Champagner und Weißwein – die Namen seiner lahmen Gäule vergisst. Aber da noch nie jemand cool dabei gewirkt hat, eine ganze Mannschaft vorzustellen – »Das ist Hans. Und das ist Peter. Und das ist Anne. Und das ist Anna« –, verzeihen wir es ihm.

»Ich ermutige sie nicht dazu, mich als Vorgesetzten zu betrachten«, sagte Lamb. »Ich bevorzuge ›heidnische Gottheit‹.« Er blickte auf die Wand über Mollys Kopf.

Wie sagt man noch gleich? Fake it until you make it?

Neue Folgen von Slow Horses sind jetzt auf Apple TV+ verfügbar. Die fünfte Staffel beruht auf London Rules von Mick Herron. Und obwohl wir normalerweise als Verlag doch lieber den Roman lesen, müssen wir zugeben, dass es wohl kaum einen besseren Jackson Lamb auf dem Sliver Screen gibt als Gary Oldman. Vor allem, wenn er eins zu eins zitiert, was auf den Buchseiten geschrieben steht.


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London Rules

Ein Fall für Jackson Lamb
Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer

Eine Söldnertruppe radiert ein Dorf in Derbyshire aus. Kurz darauf wird ein Pinguingehege im Londoner Zoo in die Luft gesprengt – beim Inlandsgeheimdienst MI5 herrscht Alarmstufe Rot. In Slough House dagegen gähnende Langeweile, bis Roderick Ho, Ober-Nerd der abservierten Agententruppe, nur knapp einem stümperhaft ausgeführten Attentat entgeht. Seine Kollegen eilen ihm (widerwillig) zu Hilfe und machen aus einer schwierigen Situation – das Schlimmste.


Taschenbuch
496 Seiten
erschienen am 25. Oktober 2023

978-3-257-24702-2
€ (D) 14.00 / sFr 19.00* / € (A) 14.40
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Auch erhältlich als

 

Mick Herron, geboren 1963 in Newcastle-upon-Tyne, studierte Englische Literatur in Oxford, wo er auch lebt. Seit 2024 ist er Mitglied der Royal Society of Literature. Seine Romane wurden vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Theakston's Old Peculier Crime Novel und dem Ellery Queen Readers Award; für sein Lebenswerk erhielt er 2025 den CWA Diamond Dagger. Sowohl seine in London angesiedelte ›Slow Horses‹-Serie als auch die Oxford-Serie um die Privatermittlerin Zoë Boehm werden mit Starbesetzung von Apple TV+ verfilmt.