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Vom verbindlichen Glanz der Literatur Erich Hackls

Am 11. September 2018 feierte Erich Hackls neues Buch Am Seil im Literaturhaus Wien Premiere. In der Einleitung ihrer Moderation analysierte die Journalistin Katja Gasser (ORF) so treffend wie klug die Grundlage von Hackls literarischer Arbeit und wie Ethik und Ästhetik darin zusammenspielen. Die dokumentarischen Recherchen des österreichischen Autors fußen auf einem gesellschaftspolitischen Anliegen, und auch das aktuelle Werk zeigt auf, dass Aufbegehren gegen Unmenschlichkeit eine real existierende Möglichkeit ist – damals wie heute, für uns alle.

 

Von Katja Gasser

»Die Starken davor bewahren, ihre Stärke zu überschätzen, die Kraft des Schwächsten als Maßstab nehmen«: Das war Reinhold Duschkas Leitsatz beim Bergsteigen; es ist zugleich so etwas wie die moralische Wurzel von Erich Hackls jüngstem Buch Am Seil – wie überhaupt dieser Satz den ethischen Denkkosmos der Literatur von Erich Hackl gut skizziert.

Reinhold Duschka ist der Held in Erich Hackls jüngstem Text, der einen Untertitel führt: Eine Heldengeschichte. Reinhold Duschka, der sich selbst nie als Helden sah, hat während der NS-Diktatur Lucia Heilman, die heute hier anwesend ist, und ihrer Mutter Regina das Leben gerettet, indem er sie in seiner Werkstatt in Wien – er war Kunsthandwerker von Beruf – fast vier Jahre lang versteckt hat.

Reinhold Duschka. Foto: Privatbesitz Familie Janous

Einmal mehr ist es eine real verbürgte Geschichte, sind es Fakten, die Erich Hackl als Ausgangspunkt, als Grundlage für seine literarische Arbeit dienen. Oder richtiger: Erich Hackl stellt sich, seine Sprach- und Erzählfähigkeit in den Dienst dieser Fakten – Fiktionalisierung ist deshalb seine Sache nicht, vielmehr eine Form der kargen Literarisierung, die die Realitäten nur umso deutlicher zutage fördert. 

Erich Hackls Literatur ist so etwas wie die Arbeit an der Würde der Fakten – und damit an der Würde des Menschen –, auch wenn die Fakten voller Würdelosigkeit sind, auch wenn sie würdezersetzend sind. Die Würdelosigkeit der Fakten: Sie kommt zumeist in Gestalt eines Zeitgeschehens daher, das in die Leben Einzelner einbricht und sie ins Zerbrechen jagt und damit in den Zustand der Würdelosigkeit. In welchem Moment beginnt diese Würdelosigkeit, dieser Prozess der Würdezerstörung, zum ›entpersönlichten Kollektiv‹ zu werden, und wie gestaltet sich der Widerstand gegen diese Entwicklung? Um Fragen wie diese kreist Erich Hackls Literatur. Dass Widerstand möglich ist, dass Aufbegehren gegen Unmenschlichkeit eine real existierende Möglichkeit damals wie heute war und ist: Das verleiht den Texten Erich Hackls den Glanz der Hoffnung.

 

Am Seil
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Wie nur die wenigsten versteht Erich Hackl vom Einzelnen so zu erzählen, dass das Erzählte viele verbindlich trifft und Allgemeingültiges darin zum Ausdruck kommt: Zeiten wie Räume übergreifend. Seine Form des politischen Schreibens ist das literarische Schärfen von historischem Bewusstsein: Ohne historisches Bewusstsein wäre man der Gegenwart blind ausgeliefert.

Erich Hackl ist ein Meister der Reduktion auf das Wesentliche. Aber was ist es, dieses Wesentliche? Aslı Erdoğan, die türkische Autorin, die seit geraumer Zeit unter schwierigsten auch gesundheitlichen Bedingungen im deutschen Exil lebt, hat es in ihrem Text Nicht einmal das Schweigen gehört uns noch so auf einen Satz gebracht: »An einem Verbrechen nicht Mittäterin zu sein ist, mehr als ein Recht oder eine Pflicht, unser eigentlicher Daseinsgrund.« Mit diesem Wesentlichen, mit diesem von Aslı Erdoğan so beschriebenen Daseinsgrund beschäftigt sich Erich Hackl in seiner Literatur. Sie, seine literarische Arbeit, ist eine ›Schule der Empathie‹ – und sie ist das, weil ihr das Wissen darüber eingeschrieben ist, dass das Zusammenspiel von Ethik und Ästhetik ein sehr feines sein muss, um zu gelingen im Sinne des An-Rührens und nicht der Rührseligkeit. Erich Hackls Texte zeugen von dieser Feinheit. Und diese Feinheit ist immer auch eine große Stille, in der sich jene entschiedene Parteinahme entfalten kann, die bereits in dem zu Anfang zitierten Satz von Reinhold Duschka zum Ausdruck gekommen ist: »Die Starken davor bewahren, ihre Stärke zu überschätzen, die Kraft des Schwächsten als Maßstab nehmen.« Wo sonst sollte der Ort einer Literatur sein, die sich als ‚Schule der Empathie‘ begreift, als auf der Seite der Schwachen, der Erniedrigten und Beleidigten? 

Der Mensch ist dadurch groß, schreibt Pascal, dass er sich als elend erkennt: in seinem Grundzustand auf die Hilfe und Solidarität und das Mitgefühl anderer angewiesen. »Hoch die Herzen!«, heißt es einmal bei Peter Handke: Erich Hackls Literatur ist nicht zuletzt der Versuch, unsere Herzen in diesen Zustand zu verwandeln: Hoch die Herzen!

 

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Erich Hackl, geboren 1954 in Steyr, hat Germanistik und Hispanistik studiert und einige Jahre lang als Lehrer und Lektor gearbeitet. Seit langem lebt er als freier Schriftsteller in Wien und Madrid. Seinen Erzählungen, die in 25 Sprachen übersetzt wurden, liegen authentische Fälle zugrunde. Auroras Anlaß und Abschied von Sidonie sind Schullektüre. Unter anderem wurde er 2017 mit dem Menschenrechtspreis des Landes Oberösterreich ausgezeichnet.

Am Seil. Eine Heldengeschichte ist am 25.7.2018 erschienen, auch als ebook.

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