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Benedict Wells liest in der Elbphilharmonie in Hamburg

Am 13. September 2022 traten Benedict Wells und Thees Uhlmann anlässlich des Harbour Front Festivals in der Elbphilharmonie Hamburg auf. Die beiden auf der Bühne des Großen Saals zu erleben, bescherte einen unvergesslicher Abend voller Musik und Literatur. Nicht nur für uns Zuschauer:innen, sondern auch für den Autor selbst. Ein Gastbeitrag von Benedict Wells.

Es gibt Ereignisse, denen man mit Worten nicht das Wasser reichen kann. Etwa, wie es ist, die ausverkaufte Elbphilharmonie in Hamburg zu betreten, vor sich Thees Uhlmann, hinter sich seine Band. Der Saal eine futuristische Arena, dreihundertsechzig Grad, steile Tribünen bis nach ganz oben wie im Aztekenstadion, und überall Menschen, vor sich, hinter sich, neben sich. Geblendet vom Licht tritt man an sein Pult, breitet seine Bücher aus und winkt noch mal unbeholfen. Man ist überwältigt, euphorisiert – und fühlt sich zugleich, als sei der eigentliche Autor kurzfristig ausgefallen und man wäre für ihn eingesprungen … In solchen Momenten denkt man tatsächlich gar nichts, aber da das hier ein Text ist, schreibe ich: »In diesem Moment musste ich daran denken, wie alles anfing …«

Die Elbphilharmonie, Harbourfront, am 13.09.2022. Das ganz unten rechts ist Thees, das links daneben bin ich. Unser Thema: »Bruce, der Tod und wir« (Copyright: Sebastian Igel)

Thees Uhlmanns Musik hatte ich schon früh verfolgt. Mit Anfang zwanzig war ich ein Fan seiner Band Tomte, die Songs hörte ich oft beim Schreiben von Becks letzter Sommer. Später begeisterten mich seine Solo-Alben. Ich weiß noch, wie ich erstmals Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf hörte und mich das Klaviersolo sofort aus einer damals düsteren Stimmung riss, gefolgt von den Zeilen: »Ich kam auf die Welt in eim’ Kadett / Ein Poster von Littbarski über meinem Bett«. Damals wusste ich es nicht, aber dieser Song war genau das, was Kirstie in Hard Land »euphancholisch« nennen würde.
    Als die lit.Cologne 2016 anfragte, ob ich mit Thees Uhlmann anlässlich seines Debütromans Sophia, der Tod und ich auftreten wolle, sagte ich also begeistert zu. Wir lasen gemeinsam auf einem Schiff, und es wurde eine sehr schöne Veranstaltung, was nicht zuletzt an Thees herzlicher, mitreißender Art lag. Danach hingen wir noch die ganze Nacht backstage herum und sprachen mit seinem Manager Rainer über unsere gemeinsame Leidenschaft für Bruce Springsteen – ein Künstler, der gerade in Hard Land eine große Rolle spielen sollte.
   Nachdem uns auch die Neuauflage auf der lit.Cologne 2021 großen Spaß gemacht hatte, wollten wir das unbedingt abseits der Pandemie mit Publikum wiederholen. Diesmal in Hamburg beim Festival Harbourfront, im Großen Saal der Elbphilharmonie – oder wie man als Autor mit Fußballbezug sagen würde: In Wembley. Da wir noch nie ohne Moderation aufgetreten waren, wollten wir vorher noch zwei Lesungen machen, um uns einzuspielen.
    Und so kam es, dass Catherine Schlumberger vom Diogenes Verlag und ich uns mit Thees und seiner Crew zusammenschlossen, um mit dem Nightliner von Zürich über Bochum nach Hamburg zu fahren. Ich würde bei unseren Auftritten aus Vom Ende der Einsamkeit und Hard Land lesen, Thees wiederum hatte extra drei neue Texte geschrieben, über Springsteen, aber auch die Amerikareise der Uhlmanns in den Achtzigerjahren. Eine grandiose Kurzgeschichte, die an jedem Ort unserer Tour die Menschen zum Lachen brachte und so viele schöne Details hatte, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll (etwa beim Flug mit Pan Am, bei dem sich die Mutter erst mal zum Rauchen zurückzieht, bevor die Uhlmanns anschließend jeweils ein Besteckteil stehlen: Der Vater ein Messer, die Mutter eine Gabel, der ältere Bruder den großen Löffel, der junge Thees einen kleinen). Ich liebte aber auch den Hauch von Melancholie, der sich immer wieder auf seine Texte legte.
   

In dieser Formation – ohne Hund – ging es in Zürich los: Neben mir Thees Uhlmann, Rudi Maier und Simon Frontzek (Copyright: Benjamin Rauber)

Flankiert wurden wir von der großartigen Musik von Rudi Maier und Simon Frontzek aus dem »Danke für die Angst-Trio«, ob bei Die Toten auf dem Rücksitz, Danke für die Angst, Born to Run oder Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf; bis heute einer der wenigen Songs, die ich auswendig kann, jede Zeile in mein Hirn gebrannt. Wie oft saß ich an diesen Abenden einfach nur da, berührt von der Stimmung, die diese drei neben mir entfachten.
    Nach den Lesungen ging es gemeinsam in den Nightliner-Bus, der mich ein bisschen an den »Fahrenden Ritter« aus Harry Potter und der Gefangene von Askaban erinnerte. Oben Platz für achtzehn Betten, unten eine bequeme Lounge mit Snacks und einer Bar mit schier unerschöpflichem Vorrat. Pünktlich um Mitternacht fuhren wir los, dann quatschten wir bis teils fünf Uhr früh über Literatur, Musik und alles Mögliche oder spielten uns gegenseitig Lieblingssongs vor, während der Bus durch die Nacht rollte. Später legten wir uns oben in die Schlafkojen, Vorhang zu, und wenn man aufwachte stand man vor der Christuskirche in Bochum oder direkt an der Elbe. Anschließend Backstage, Duschen, etwas essen, den Abend durchgehen, Soundcheck. Catherine vom Verlag und ich fühlten uns, als dürften wir testweise ein Rockstarleben ausprobieren.

In der Schlafkoje, irgendwo zwischen Zürich und Bochum

Schmerzhaft war nur, dass wegen der jeweils frühen Weiterfahrten mit dem Nightliner das Signieren danach ausfiel, aber ich hoffe, ihr versteht es, falls ihr da gewesen seid. Dafür zwang ich mich in der Elbphilharmonie meine erste Geschichte vorzulesen, über drei Katzengeschwister, die ich mit sieben Jahren auf einer Schreibmaschine runtergetippt hatte und die Zeilen enthielt wie: »Die Kätzchen bilden nun eine enge Spielgemeinschaft.«
    Was mir besonders von der Tour in Erinnerung bleiben wird, ist, neben den Veranstaltungen selbst, wie liebevoll Catherine und ich von Thees und seiner Crew aufgenommen wurden. Sie alle wirkten wie eine verschworene Familie auf uns, ein wirkliches Zuhause on the road – in dem wir für ein paar Tage Gäste sein durften. Und so empfand ich große Wehmut, als sich die Reise dem Ende entgegenneigte und wir nun in Hamburg die Bühne betraten.
    Es ist ein Glück, wenn man diese Veranstaltungen mit jemandem bestreiten kann, der absolut furchtlos in solche Abende rennt und alle mitreißen kann, während man aus dieser Deckung heraus staunen darf. Thees hatte die Idee, dass jeder von uns zwei Joker bekommt – Stellen, an denen wir den anderen unterbrechen durften – und in einer Szene, als Sam »Aaaaahhhh« schrie, bat er das Publikum, einfach zurückzuschreien, und dann lauter und immer lauter, bis die gesamte Elphi brüllte: »Aaaaahhhh!« Ein Wahnsinn. Er, Simon und Rudi hatten mich überredet, den Song Born to Run am Ende mit der Mundharmonika zu begleiten, auch das ein wahrhaft unvergesslicher Moment, denn nun kann ich für immer sagen: Ich habe in der Elbphilharmonie mal vor über zweitausend Menschen zu einem Springsteen-Song Mundharmonika gespielt.

Born to Run!

Diese letzte Lesung habe ich versucht, trotz all der Aufregung zu genießen. Und wieder fiel mir auf, dass Thees und ich aus den unterschiedlichsten Richtungen kommend ständig an den gleichen Kreuzungen landeten: Er als Horrorfan, ich als Horrorschisser kamen wir beide zu Stephen King und seinem Coming-of-Age-Geniestreich Stand By Me. Er war als Jugendlicher in Amerika gewesen, ich hatte es mir damals immer erträumt, aber beide liebten wir früh dieses seltsame Land und sehen es zugleich heute kritisch. Und genauso interessierten wir uns für die 80s – ich als jemand, der sie sich von außen vorstellte, er als jemand, der sie selbst erlebte hatte. Immer wieder schienen sich auch unsere Texte  aufeinander zu beziehen, ob seine Jugendgang »Kings of Violence« auf den »Mystery Club« aus Hard Land oder Stellen zu Religion und Musik.
    Am besten brachte es aber das Ende dieses unglaublichen Abends in Hamburg auf den Punkt. Bei meiner letzten Lesestelle gab es einen Moment, an dem ich kurz nicht weiterlesen konnte, weil ich einfach nicht wollte, dass es schon vorbei war. Ich blickte auf den Saal mit all diesen Menschen, die uns so großartig empfingen. Ich schaute zu Thees, der das, was wir machten, in einem Text mal »die Scheißidee, mit der man durchkam« genannt hatte. Im Publikum dieser drei Abende waren immer auch Menschen gesessen, mit denen ich noch zur Schule gegangen war und die diesen völlig unrealistischen Weg von Anfang an verfolgt hatten. Und ich dachte an das unverschämte Glück, nun so etwas wie in Hamburg erleben zu dürfen. Es war – neben der Tour letztes Jahr mit Jacob – das Größte aus fünfzehn Jahren Schreiben … und auch das würde gleich vorbei sein. Und da fiel mir auf, dass Thees und ich selbst dazu mit unterschiedlichen Worten wieder das gleiche gesagt hatten. Hier »Euphancholie«, und dort »Das Leben ist wie Feuer / Es brennt und es wärmt«.

Im Bild nicht zu erkennen: Thees sprang mir richtig entgegen wie nach einem Torjubel. (Copyright: Sebastian Igel)

Ich möchte allen danken, die dabei waren, Thees, Rudi, Simon und allen, die mit uns mit dem Nightliner fuhren und so toll aufnahmen, auch Catherine Schlumberger, die diesen Wahnsinn mitmachte. Und genauso dem Festival Harbourfront, das uns einlud. Und vor allem möchte ich den Menschen danken, die zu unseren Lesungen kamen, die uns anfeuerten und unterstützten, bis hin zu den Standing Ovations in Bochum und der Elbphilharmonie. Das werden wir nie vergessen!
Ich hoffe, es gibt eines Tages eine Fortsetzung, so, wie es vielleicht auch nächstes Jahr noch ein paar Sequels mit Jacob Brass zur »Hard Land/Circletown«-Tour geben wird – dann wieder mit Signieren und Reden hinterher. Auch wenn ich den Nightliner und dieses unwahrscheinliche Leben on the road sehr vermissen werde.

Tour-Tagebuch