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»Am Ende triumphiert natürlich das Geld«
Amélie Nothomb über Friedrich Dürrenmatt

Amélie Nothomb, geboren 1967 in Kobe, Japan, hat ihre Kindheit und Jugend als Tochter eines belgischen Diplomaten hauptsächlich in Fernost verbracht. Seit ihrer Jugend schreibt sie wie besessen. In Frankreich stürmt sie mit jedem neuen Buch die Bestsellerlisten und erreicht Millionenauflagen. Ihre Romane erscheinen in 39 Sprachen. Die Passion war 2019 für den ›Prix Goncourt‹ nominiert. Amélie Nothomb lebt in Paris und Brüssel. 

In diesem Text geht sie der Frage auf den Grund, weshalb das Stück Der Besuch der alten Dame von Friedrich Dürrenmatt uns auch heute noch so fasziniert.

 

Foto: © Catherine Cabrol

Warum beschäftigt uns dieser Text noch immer? Ein historisch-politischer Kontext, den wir nicht kennen, ist im Hintergrund zu erahnen, aber das spielt keine Rolle, denn es geht um Grausamkeit, um uns.

Als junge Frau wurde die Unglückliche sitzengelassen und vom ganzen Dorf, das sich mit dem Exliebhaber verbündete, gedemütigt und verstoßen. Wider alle Erwartung ist sie nun wieder da, alt und ungeheuer reich. Sie verspricht, ihr Vermögen dem Dorf zu schenken, wenn ihr der Mann, der ihr damals den Laufpass gab, ausgeliefert wird. Es folgt ein allgemeiner Aufschrei: Wie das, wir sind doch nicht käuflich, wir werden unseren Mitbürger vor dieser rachsüchtigen Furie beschützen! Doch allmählich bekommt die Solidarität Risse. Hat sich der Mann denn nicht schändlich benommen? Waren wir nicht insgeheim entsetzt von dem Zynismus, mit dem er das schwache Wesen fallen ließ? Können wir jemanden, der zu einer solchen Gemeinheit fähig ist, unter uns dulden?

Das Geniale an dem Stück ist, dass es zeigt, wie die Dorfbewohner unter dem Deckmantel der Moral den Lockungen des Geldes erliegen: Sie tun so, als hätten sie die Tugend für sich entdeckt, um das Geschenk nicht zurückweisen zu müssen. Am Ende triumphiert natürlich das Geld. Diese allmähliche Einwilligung in das Böse bringt uns diesen Text so nahe, dass es wehtut.

Nach dem Triumph des Cid wurden Corneilles andere Stücke lange ignoriert. Auch Dürrenmatts sonstige Werke leiden noch unter diesem unglückseligen Paradox. Hoffen wir, dass ihnen durch diese neue Publikation Gerechtigkeit zuteilwird.

Copyright © Amélie Nothomb, Paris, 20. Juli 2020