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30 Jahre »Das Parfum« – ein Erfolg mit Folgen

Das muss man sich mal vorstellen: Neun Jahre lang stand der Roman Das Parfum von Patrick Süskind auf der Spiegel-Bestsellerliste. Und das, obwohl der Autor sich dem üblichen Presserummel verweigerte und nur ein einziges Interview gab. Die Geschichte eines Erfolgs zum dreißigsten Jubiläum.

Angefangen hat alles ja mit einem ganz anderen Werk: Ohne großes Aufsehen erscheint 1984 das Stück Der Kontrabaß von Patrick Süskind bei Diogenes, ein Monolog für einen Schauspieler mit Kontrabass (obwohl der Autor nicht Kontrabass, sondern Klavier spielt). Das Stück war im Herbst 1981 im Münchner Cuvilliés-Theater uraufgeführt worden und in Theater heute abgedruckt. Es avancierte zu einem stillen, aber anhaltenden Publikumserfolg. In der Theatersaison 1983/84 war es nach Dürrenmatts Die Physiker das meistgespielte Stück auf deutschsprachigen Bühnen. Der Autor aber blieb weitgehend unbekannt.

Der Kontrabaß
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Daniel Keels Assistentin Susanne Dorn sieht das Stück im Zürcher Schauspielhauskeller und schwärmt: »Das würde dir gefallen.« Keel will es sich zwar nicht ansehen, aber gerne lesen. Er lässt das Rollenbuch kommen und ist vom Kontrabaß so hingerissen, dass er den Monolog noch im selben Jahr als Buch herausbringen möchte.

Er ruft Patrick Süskind an. »Wenn Sie unbedingt Geld verlieren wollen …«, versucht der Autor ihm das Vorhaben auszureden, denn Theaterstücke verkaufen sich in Buchform nie gut. »Wollen Sie das wirklich machen?« Keel will, denn er hofft, mit Patrick Süskind einen jungen talentierten Schriftsteller gefunden zu haben, der erst am Anfang seiner Karriere steht und noch mehr schreiben wird. Oder vielleicht etwas in der Schublade hat. Doch in einem Brief an Susanne Dorn vom Juli 1983 dämpft Patrick Süskind diese Hoffnungen: »Zwar sind da einige Texte – übrigens nicht in der Schublade, sondern aufrecht stehend in Ordnern in einem Regal! –, aber wenn sie nicht veröffentlicht sind, so könnte das womöglich auch mit ihrer Qualität zusammenhängen.«

Zu schreiben begann Patrick Süskind, 1949 in Ambach am Starnberger See geboren, während seines Geschichtsstudiums in München und Aix-en-Provence. Nach »kürzeren unveröffentlichten Prosastücken und längeren unverfilmten Drehbüchern« wurde er Mitautor der Fernsehdrehbücher Monaco Franze und Kir Royal des kürzlich verstorbenen Helmut Dietl.

Der Kontrabaß erscheint 1984 nicht nur ohne großes Aufsehen, sondern auch ohne die übliche Vorschusszahlung an den Autor. In einem Brief vom Dezember 1983 an Beatrice Gyssler, damals zuständig für den Rechteeinkauf, macht er deutlich: »Einen Vorschuss will ich nicht. Ich mag schon das Wort ›Vorschuss‹ nicht. Vorschüsse sind Zahlungen für erst zu erbringende Leistungen. Ich erbringe aber keine Leistung. Auch für Auftragsarbeiten könnte man zur Not Vorschüsse nehmen, die dann freundlicherweise 1. Rate oder Anzahlung oder à conto heißen. Man kann auch Vorschuss nehmen, wenn man Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Verlegers hat oder seinen Konkurs vorausahnt. Oder dann, wenn man das Geld einfach dringend braucht. Gott sei Dank ist das alles bei unserem Projekt nicht der Fall, und deshalb möchte ich bitte keinen Vorschuss!«

»Ruedi, jetzt haben wir einen Welt-Bestseller.«

Als Der Kontrabaß erscheint, ist der Autor mit der Aufmachung des Buchs zufrieden. Die Auflage ist bescheiden, 4′000 Exemplare, der Verkauf mit 3′000 Exemplaren erfreulich. In einem Brief vom Mai 1984 bedankt sich Patrick Süskind für die Belegexemplare und fügt hinzu: »Letzte Woche habe ich ein Manuskript abgeschlossen, das ich Ihnen gerne schicken würde. Ich habe Ihnen schon andeutungsweise davon gesprochen, als wir uns in München trafen, und Sie werden es sicher andeutungsweise wieder vergessen haben. Es ist die Geschichte eines Parfumeurs, heißt Das Parfum, spielt im Frankreich des mittleren achtzehnten Jahrhunderts und hat 280 Seiten.«

»Im achtzehnten Jahrhundert lebte in Frankreich ein Mann, der zu den genialsten und abscheulichsten Gestalten dieser an genialen und abscheulichen Gestalten nicht armen Epoche gehört« – so beginnt das Manuskript. Rudolf C. Bettschart erinnert sich: »Daniel Keel hat es über Nacht gelesen, kam am nächsten Morgen in mein Büro, haute mir das Manuskript auf den Kopf mit den Worten: ›Ruedi, jetzt haben wir einen Welt-Bestseller.‹« Süskind derweil rät zu einer Auflage von 5′000 Exemplaren.

Die Auslieferung wird vorgezogen

Am Freitag während der Frankfurter Buchmesse 1984 meldet sich Franz Josef Görtz, bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter anderem für den Fortsetzungsroman zuständig, bei der Diogenes Pressechefin Christine Doering. Er sitzt in der Patsche, braucht dringend etwas Geeignetes zum Vorabdruck. Bis Montagmorgen müsse er Bescheid wissen, ob der Verlag etwas anzubieten habe, und ein Manuskript erhalten. Am 16. Oktober 1984 startet Das Parfum als Vorabdruck in der FAZ – eine entscheidende Geburtshilfe. Noch nie gab es so viele positive Leserzuschriften auf einen Serienabdruck. Eine Leserin schreibt verzweifelt nach Frankfurt: »Was tut man, wenn eine oder zwei und nach penibler Sammlung wieder eine oder gar drei Fortsetzungen fehlen, weil man am Wochenende nach Hamburg musste und beim Heimkommen vergaß, die Seite von Samstag herauszureißen? So etwas habe ich noch nie gelesen. Ja – in Büchern früher. Aber nie in portionierten Fortsetzungen zu sechs Spalten. Sie machen einen wahnsinnig. Und das Buch ist nicht zu haben – noch nicht. Köstlich! Und doch so qualvoll, bis morgen zu warten.«

Nach dem großen Echo wittert der Verlag erst recht den Erfolg. Das zeigt sich an verschiedenen Details: Zum ersten Mal seit 1977 ist die Vorschau, die im Dezember 1984 erscheint, farbig, auf dem Cover prangt der schon bald weltbekannte Ausschnitt aus dem Gemälde Jupiter und Antiope von Antoine Watteau. Neben anderen Novitäten wird »ein Bestseller« angekündigt, mit einer Startauflage von 50′000.

Und der Vorabdruck läuft noch: Ein Abiturient fragt um die fehlenden Kapitel des Romans an, weil er darüber eine Arbeit schreiben möchte, bevor das Buch überhaupt erschienen ist. Doch Diogenes versorgt erst einmal Buchhandel und Presse: Eiligst wird ein Leseexemplar gedruckt, das aber nur mit einem schwarzweißen Cover versehen ist und kurz vor Weihnachten an 3′000 Buchhändlerinnen und Buchhändler verschickt wird. 850 von ihnen schreiben begeistert an den Verlag, der angefleht wird, die Auslieferung vorzuziehen. Was auch geschieht: Am 26. Februar 1985, einen Monat früher als geplant, erscheint Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders. Die Druckerei kann deswegen zunächst nur 11′685 Exemplare liefern, eine Woche später nochmals 19′996.

Die Nachfrage bei den Lesern übertrifft alle Erwartungen: Auflage folgt auf Auflage – die dritte beträgt 30′000 Exemplare, die vierte 50′000, die fünfte 45′000, die sechste 50′000 und die siebte Auflage, im September 1985, glatte 100′000 Exemplare. Die Druckmaschinen stehen nicht still. Nach acht Wochen sind bereits 115′000 Exemplare verkauft, das Buch steht auf allen Bestsellerlisten.

Ungewöhnlich ist, dass ein solcher Bestseller auch von der Kritik gefeiert wird. Im März ist der Roman an der Spitze der von 25 Literaturkritikern ermittelten Bestenliste des Südwestfunks. Die Rezensenten – mit Ausnahme der Neuen Zürcher Zeitung – überbieten sich mit Superlativen:

»Ein Monster betritt die deutsche Literatur, wie es seit dem Blechtrommler Oskar Matzerath keines mehr gegeben hat – ein Literaturereignis.« (Stern)

»Ein Juwel an preziösem Stil und äußerer Spannung.« (Die Welt)

Marcel Reich-Ranickis Besprechung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beginnt mit der Feststellung: »Also das gibt es immer noch oder schon wieder: einen deutschen Schriftsteller, der des Deutschen mächtig ist; einen zeitgenössischen Erzähler, der dennoch erzählen kann; einen Romancier, der uns nicht mit dem Spiegelbild seines Bauchnabels belästigt; einen jungen Autor, der trotzdem kein Langweiler ist.« Und der letzte Satz lautet: »Unsere Literatur hat ein Talent mehr – und ein erstaunliches obendrein.«

Das Parfum wird zum Welterfolg

1985 ist ein verrücktes Jahr für den Verlag. In der Lizenzabteilung laufen die Drähte heiß wie nie zuvor. Erste Anfragen zu Übersetzungsrechten treffen schon beim Verlag ein, bevor das Buch überhaupt im Handel erhältlich ist. »Die renommiertesten Verlage aus aller Welt rissen sich geradezu hysterisch um die Rechte«, erinnert sich Marianne Liggenstorfer, die damalige Lizenz-Chefin. »Verschiedene Verlage, die zuvor nie etwas mit uns zu tun hatten und glaubten, wir seien ein im Umgang mit der internationalen Verlagsszene unerfahrenes Haus, versuchten uns anfangs mit lächerlichen Angeboten zu übertölpeln …«

Doch der Verlag lässt sich Zeit mit der Entscheidung, in welchen ausländischen Verlagen Das Parfum erscheinen soll. Nicht unbedingt, um den Preis in die Höhe zu treiben. Man will sicherstellen, dass das Buch in das jeweilige Verlagsprogramm passt. So bekommt nicht unbedingt der Verlag mit dem höchsten Angebot den Zuschlag. Die schließlich Auserkorenen sind so glücklich, dass sie, ohne mit der Wimper zu zucken, Bedingungen akzeptieren, die in der Branche unüblich sind: Zum Beispiel muss das Titelbild laut Vertrag unverändert übernommen werden. Eine der wenigen Ausnahmen ist die DDR-Ausgabe, die mit einem anderen Umschlag erscheint, um einen Reimport in die Bundesrepublik zu verhindern.

In der Herbstvorschau 1985 kann der Verlag bereits stolz vermerken: »Unmittelbar nach Erscheinen auf allen Bestsellerlisten, z.B. Spiegel – Platz 2, Stern Platz 1, Tages-Anzeiger Platz 1, Basler Zeitung Platz 1, Kurier in Wien Platz 1. Übersetzungsrechte vergeben nach USA , England, Italien, Holland, Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland.« Bald löst Das Parfum Isabel Allendes Von Liebe und Schatten als Spitzenreiter der Spiegel-Bestsellerliste ab. Ab September 1987 ist der Roman auf der Bestsellerliste der New York Times – der größte deutschsprachige Welterfolg seit Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues. Italiens größte Tageszeitung Il Corriere della Sera (Mailand) druckt Das Parfum in Fortsetzungen ab, als ersten Fortsetzungsroman seit hundert Jahren.

Und der Roman bleibt – einmalig in der Buchgeschichte – neun Jahre auf der Spiegel-Bestsellerliste. Und das ohne Anzeigenwerbung und ohne PR-Arbeit des Autors. Denn Süskind verweigert sich dem üblichen Presserummel. Er gibt ein einziges Interview – und danach keines mehr.

Erst neun Jahre nach Erscheinen kommt Das Parfum als Taschenbuch heraus. Die Startauflage ist mit 325′000 Exemplaren die höchste der Verlagsgeschichte. Mittlerweile ist das Buch in 50 Sprachen übersetzt – unter anderem ins Isländische, Lettische, in Hindi und ins Lateinische.

Die Filmrechte beschloss Patrick Süskind erst nicht zu vergeben. Wenn Stanley Kubrick Interesse hätte, würde er seine Meinung vielleicht ändern – sagt er zu Daniel Keel, der Milos Forman vorschlägt, mit dem Süskind auch einverstanden wäre. Alle berühmten Regisseure, die größten Hollywood-Produzenten wollen die Filmrechte – nur Kubrick und Forman nicht. Noch zehn Jahre nach Erscheinen des Parfums landet auf dem Schreibtisch von Gesine Lübben, die damals die Theater- und Filmabteilung bei Diogenes leitet, pro Monat mindestens eine Anfrage, die in einem immer dicker werdenden Ordner abgelegt wird.

2001 streckt Süskind die Waffen. Der Verlag vergibt mit seinem Einverständnis die exklusiven Filmrechte an den Produzenten Bernd Eichinger. Geplant ist eine große Hollywood-Produktion, auf die das Publikum aber noch einige Jahre warten muss – nicht weiter schlimm, wenn schon die Vergabe der Rechte sechzehn Jahre gedauert hat. Im Jahr 2005 wird der Roman dann von Tom Tykwer verfilmt (Trailer).

Das Parfum, das ursprünglich als Kurzgeschichte geplant war, wurde unversehens zu etwas Größerem: einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Romane des 20. Jahrhunderts. Ein Erfolg mit Folgen: »Startauflage 50′000 Exemplare« – heißt es im Sog des Glanzstücks von Patrick Süskind in der Herbst-Vorschau 1985 von Diogenes bei zwei Titeln: Justiz von Friedrich Dürrenmatt und Das Mädchen aus Paris von Joan Aiken. Beide Romane kommen auf die Spiegel-Bestsellerliste.

 

Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders von Patrick Süskind ist zur Zeit in originaler Ausstattung als Hardcover mit Leineneinband lieferbar, zudem als TaschenbuchE-Book und als Hörbuch, eingelesen von Hans Korte.