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Diogenes Goes Broadway

Zur Broadway-Premiere des Musicals »The Visit« nach Friedrich Dürrenmatt ging es nach New York. Ein Fotobeitrag von Anna von Planta.

Susanne Bauknecht (Leiterin Lizenzen inklusive Theater- und Filmrechte) und ich, Anna von Planta (Lektorin, u.a. von Friedrich Dürrenmatt und Patricia Highsmith), waren zur Premiere der Musical-Fassung The Visit / Der Besuch der alten Dame ins Lyceum eingeladen, das älteste Theater am Broadway … und nutzten das verlängerte Wochenende für eine Arbeits- und Entdeckungsreise in New York.

Dürrenmatt am Broadway

Unser beider Berufsalltag findet größtenteils im Büro statt, am Bildschirm und am Telefon. Beruflich raus an die frische Luft kommen wir selten, und wenn, dann zu Buchmessen oder Filmfestivals im nahen Ausland. Unsere Autoren schreiben größtenteils Romane, manchmal Theaterstücke. Dass ihre Werke verfilmt werden, geschieht nicht selten. Aber ein Stück, weltberühmt, als Musical, noch dazu am Broadway – das gab’s bei uns noch nie! Und zwei Einladungen nach New York natürlich auch nicht.

In der Hauptrolle: Broadway-Legende Chita Rivera, 82. Seit ihrem siebten Altersjahr nahm sie Ballettunterricht (bei Georges Balanchine!), ihren Durchbruch hatte sie 1957, 24-jährig, als Rita in der Uraufführung von Leonard Bernsteins West Side Story. Fast sechzig Jahre später spielt sie nun Claire Zachanassian in The Visit. Man nimmt Chita als alter Dame ihre Vergangenheit als Prostituierte ab, sie verkörpert glaubwürdig die kaltblütige, steinreiche Geschäftsfrau, die in ihren Heimatort Güllen zurückkehrt, um ihre unvergessene erste Liebe noch einmal wiederzusehen und ihn anschließend dafür büßen zu lassen, dass er sie fünfzig Jahre zuvor mit einem Kind sitzenließ. 

In der Adaption von Terence McNally und mit Musik und Lyrics von John Kander und Fred Ebb (Cabaret, Chicago und The Kiss of the Spider Woman) wird The Visit in allererster Linie zu einer Liebesgeschichte, »a love that never dies« – so hatten wir das Stück bisher nicht gesehen, aber es überzeugt uns.

Das Premierenpublikum war hingerissen, am Schluss regnete es gelbe Rosen, und die Medien am nächsten Morgen waren begeistert: »Stunning. A haunting, masterly 100-minute powerhouse.« Newsday  •  »Kander and Ebb have never written a finer score. Gorgeous.« The Wall Street Journal  •  »Chita Rivera stops the show. She is a devilish delight.« The New York Times

Zu Besuch bei Hachette und Akashic

Neue Kontakte knüpfen, alte Kontakte pflegen – im Verlagswesen das A und O und gleichzeitig mit das Schönste, besonders zu zweit. In 48 Stunden laufen und fahren wir kreuz und quer durch Manhattan und Brooklyn – die Straßenzüge ziehen an uns vorbei, die Begegnungen vergehen wie im Flug, New York pur.

Hier geht’s zum Konzernverlag Hachette in mid-town Manhattan mit viel Marmor und vielen Hunderten von Mitarbeitern weltweit, dem wir einen unserer jüngsten Autoren, Gabriel Roth (Gleichung mit einer Unbekannten), verdanken.

… und hier zu Akashic, einem kleinen 8-Personen-Independent-Verlag (in einem Kellerraum einer ehemaligen Dosenfabrik) in Brooklyn, der uns mit vielen phantastischen Buchideen beeindruckt.

Frühstück mit einem alten Freund, Bob Weil vom Verlag W.W. Norton, dem Verleger von Patricia Highsmith in Amerika. Er freut sich über die Verfilmung von Carol oder Salz und sein Preis, Patricia Highsmiths zuerst 1952 unter Pseudonym erschienenem Roman einer Liebe zwischen zwei Frauen – mit einem für die McCarthy-Ära absolut skandalösen Happy-End. Am diesjährigen Filmfestival in Cannes gewann Rooney Mara (The Social Network, The Girl with the Dragon Tattoo/Verblendung) als Therese eine Palme d’Or als beste weibliche Hauptrolle.

Zum Afternoon Tea ins Plaza – wie einst F. Scott und Zelda Fitzgerald

Es regnet in New York, deshalb geht’s zum Afternoon Tea ins Plaza, das Neo-Rokoko-Hotel Ecke 59. Straße und Fifth Avenue, in dem einst Truman Capote seinen Millionenseller In Cold Blood mit der »party of the century« feierte, in dem am 7. Februar 1964 für sechs Tage die Beatles abstiegen und in dem auch einige Kapitel von Fitzgeralds Der große Gatsby spielen. Wie einst F. Scott und Zelda Fitzgerald essen wir im Palm Court Gurkensandwiches und Petits fours – der Inbegriff von Old-Style-Glamour.

In der Untergrundbahn stoßen wir zufällig auf ein Bild unseres neuen Autors Frank Viva, der offenbar noch sehr viel mehr tut als »nur« bezaubernde Kinderbücher (wie Eine lange Straße lang) schreiben und bebildern und viele Covers des New Yorker gestalten.

Auf Patricia Highsmiths Spuren im Greenwich Village

Wenige Stunden vor dem Rückflug reißt der Himmel auf: New York im strahlenden Sonnenschein, die Kirschbäume blühen, perfektes Wetter, um auf den Spuren von Patricia Highsmith das Greenwich Village zu erkunden.

Das Viertel ganz unten im Südwesten Manhattans ist von einem so dichten Netz von Lebens- und Werklinien der Schriftstellerin durchzogen, dass man buchstäblich an jeder Ecke über einen dieser Fäden stolpert, jede Straße einem etwas »erzählen« kann (besonders nach der Lektüre von Joan Schenkars Biographie über Die talentierte Miss Highsmith, der die folgende Karte entnommen ist).

Die Karte zeigt einige der »echten« Adressen von Pat Highsmiths Leben in der Stadt und einige der für ihre Romane erdachten. Häufig überlagern sie sich.

Highsmiths Stammlokale im Village: The Jumble Shop, die Flüsterkneipe aus der Zeit der Prohibition in der MacDougal Street Nr. 176 und die Bar L’s (oder El’s) in der MacDougal Street Nr. 116. Um die Ecke wohnten: Kingsley Skattebol, Highsmiths lebenslange Freundin aus Collegezeiten, weiter die Helden eines ihrer letzten Romane, Elsies Lebenslust, außerdem die Titelheldin von Ediths Tagebuch und der nicht ganz unschuldige Polizist aus Lösegeld für einen Hund.

Im Alter von zwölf Jahren »parkte« Highsmiths texanische Mutter ihre Tochter bei der Großmutter in Fort Worth bei Dallas. Für Patricia Highsmith sollte dort »das traurigste Jahr [ihres] Lebens« folgen, bis sie 1934 zurück nach New York und dort in die Bank Street Nr. 1 zu ihrer Mutter und ihrem verhassten Stiefvater ziehen durfte. Von der Bank Street fuhr sie täglich mit der Untergrundbahn up-town zur Julia Richman High School, einer Mädchenschule mit 8000 Schülerinnen aus aller Welt, vor allem aber aus dem kriegsgebeutelten Europa. 

Patricia verliebte sich in einige ihrer Mitschülerinnen und schloss Freundschaft mit der Tochter jüdischer Emigranten aus Russland, einer gewissen Judy Tuvim – der späteren Judy Holliday. In diesem Haus schrieb sie ihre ersten Geschichten, die im Highschool-Magazin abgedruckt wurden, und begann ihr erstes Notizbuch mit den Worten: »Das träge, geisterhafte Mädchen, das zu einem Tschaikowsky-Walzer tanzt.«

Beim Fotografieren des Hauses werden wir von einem der jetzigen Bewohner von Nummer 1 und seinem knurrenden Pitbull überrascht. Der Schreck verfliegt, als sich der Mann als Harvey Weinsteins Marketingbeauftragter für den Carol-Film herausstellt.

Wir erholen uns mit einem Cupcake in der Magnolia Bakery, in der vor uns auch schon Carrie und Miranda in einer Sex and the City-Episode eingekehrt sind.

Musical, Verlagstreffen, Spurensuche: drei verschiedene Arten, in 48 Stunden auf die vielfältigste Art Literatur zu erleben. Eins ist sicher – wir kommen möglichst bald wieder.