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Auch der Verleger liest fremd: Philipp Keel empfiehlt 10 Bücher für den Sommer

Schon zehn Jahre ist er Verleger, schon 20 Programme hat Philipp Keel herausgebracht. Dabei ist er unglaublich vielen Geschichten begegnet. Seine Neugierde und Entdeckungsfreude reicht aber noch viel weiter als das eigene Diogenes Programm.

Foto: Philipp Keel © Maurice Haas

Großer Familienroman, Anthologie, Ratgeber und Kinderbuch – eine Story aus Kopenhagen, aus New York oder Berlin: »Mit einem Buch liegen Sie immer richtig.« Selbst wenn es nicht vom Diogenes Verlag ist.
     Wir freuen uns, die persönlichen Empfehlungen unseres Verlegers vorzustellen, mit denen man sich durch jede Situation lesen kann.


Leichtgewicht-Lesen und Lesen im Schwergewicht

Mit Das achte Leben (Für Brilka) von Nino Haratischwili und Kindheit von Tove Ditlevsen

Besonders wenn der Urlaub bevorsteht, muss man sich Gedanken machen, wie viel Volumen denn so ein Buch einnehmen darf.
     Ist der Platz unbegrenzt? Dann los, versucht euch an Das achte Leben! In einem berauschenden Opus über sechs Generationen liest man sich auf 1280 Seiten durch Liebe und Hass, durch Aufstieg und Fall des Kommunismus und denkt sich dabei: Keine einzige Seite ist zuviel. Im Zentrum steht dabei die Heiße Schokoloade – nicht von der Schweiz, sondern nach der Geheimrezeptur des georgischen Schokoladenfabrikanten. Und: Sie ist voller Magie.
     Reist man nur mit einem Rucksack kaum breiter als ein Briefumschlag, empfiehlt sich die weltweite Neuentdeckung Kindheit der dänischen Autorin Tove Ditlevsen. In diesem 118-seitigen autobiografischen Text geht es ums Aufwachsen in einem Kopenhagener Hinterhof in den Zwanzigern. Wie erlebt die kleine Tove die Welt, in die sie so gar nicht reinzupassen scheint? Wie findet sie den Weg zur Schriftstellerin? Für Fans von Annie Ernaux und Rachel Kusk ist dieses Büchlein genau das Richtige.
     ... und wenn einen das Lesefieber bei Tove Ditlevsens Sprache dann doch packt und man einen größeren Rucksack findet, dann kann man immer noch Jugend und Abhängigkeit, die Teile 2 und 3 der Kopenhagen-Trilogie lesen.


Aus Kinderaugen, aus Elternaugen

Mit Flosse, Fell und Federbett von Nadia Budde und Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen von Philippa Perry

Als Vater muss Philipp Keel die Welt immer aus Kinderaugen und Elternaugen sehen.
     Bevor man das eigene Buch aufschlagen kann, muss man natürlich zuerst die Kinder ins Bett bringen. Und mit Flosse, Fell und Federbett wird das abendliche Vorlesen zu einem besonderen Erlebnis: Was der kleine Held  im diesem Buch alles erlebt – schummeln mit Hummeln, rasen mit Hasen – macht ihn und die kleinen Zuhörer:innen zuletzt ganz müde.
     Und so kommen auch die Erwachsenen zu Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen. In dieser weisen und wunderbaren Liebeserklärung an die Eltern-Kind-Beziehung kann man mit sich selbst in der Vergangenheit telefonieren und das eigene Erwachsenwerden reflektieren. Vor allem lernt man aber, wie man im Moment mit seinen Kindern lebt.


Programm 2022 erkunden, Backlist 1990 entdecken

Mit Erste Person Singular von Haruki Muramaki und Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte von Oliver Sacks

Noch fast ›hot off the press‹ ist die Taschenbuchausgabe der Anthologie Erste Person Singular: Sie ist dieses Jahr im April erschienen.
     Die acht Kurzgeschichten beinhalten Meditationen über Liebe, Einsamkeit, Alleinsein, Älterwerden, Zeit und Erinnerung. Sie sind manchmal fantastisch, manchmal autobiografisch, doch immer ist der träumerische Stil Murakamis, wie man ihn von Naokos Lächeln kennt, zu spüren.
     Die Fallgeschichten aus Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte ist hingegen schon 1985 erschienen. Aber besonders auch in der Backlist findet man wahre Schätze: In 24 Geschichten erzählt Oliver Sacks, der britische Neurologe, von seinen Patienten. In einem allgemein verständlichen, anekdotischen Stil führt er euch witzig, berührend, verblüffend und manchmal auch traurig an die einzelnen Schicksale heran.


Zwei Brüder oder vier Schwestern

Mit Brüder von Jackie Thomae und Der größte Spaß, den wir je hatten von Claire Lombardo

Eine große Familiengeschichte gefällig? Nun liegt es an euch zu entscheiden, ob ihr eine mit zwei Brüdern, oder eine mit vier Schwestern wollt.
     Brüder ist die Geschichte von Mick und Gabriel, die, ohne voneinander zu wissen, denselben senegalesischen Vater haben. Zuerst folgt man dem Taugenichts Mick in den 90ern durch Berlin, dann, in den 00er-Jahren, dem zielstrebigen Gabriel in London. Das Buch der deutschen Autorin Jackie Thomae ist klug, heutig, vielschichtig, unterhaltsam. In der Süddeutschen Zeitung schrieb Marie Schmidt: »Man gleitet in diesen Roman, wie in einen Wortwechsel an der Bar.« Für Fans von Zadie Smith ein Muss.
      In Der größte Spaß, den wir je hatten geht es um die Schwestern Wendy, Violet, Liza und Grace, die alle auf dem absteigenden Ast sind, aber eigentlich der scheinbar perfekten Ehe ihrer Eltern nacheifern wollen. 720 Seiten, sechs verschiedene Sichtweisen, und dabei wunderbar, begeisternd und überraschend.


Ein Gemälde von Carel Fabritius, 264 japanische Netsukes

Mit Der Distelfink von Donna Tartt und Der Hase mit den Bernsteinaugen von Edmund de Waal

Zuletzt empfiehlt Philipp Keel zwei Romane, bei denen der Angelpunkt jeweils ein Kunstwerk ist.
     Der Hase mit den Bernsteinauge macht an einer Sammlung von 246 Netsuke – das sind japanische Miniaturen aus Holz oder Elfenbein – die liebevolle, einfühlsame Geschichte der jüdischen Familie Ephrussi fest. Dabei wird ein unglaublicher Zeitraum von 150 Jahren umspannt: Vom Paris in der Belle Epoque bis ins Wien des Fin de siecle, von Tokio der 50er Jahre bis nach London: Ein wahres Erinnerungsbuch, in dem man nachempfinden kann, was Europa eigentlich bedeutet.
     In Der Distelfink verliert Theo mit 13 Jahren bei einem Terroranschlag seine Mutter, klammert sich aber in den Trümmern an das berühmte Gemälde von Carel Fabritius. Dieses begleitet ihn durch sein Leben, das eine Geschichte der Trauer und des Verlusts ist, gleichzeitig aber auch von Freundschaft, Erwachsenwerden, Liebe und vom Lebendigsein in schillernden Farben erzählt.
     Mit 1024 Seiten ist das schon ein Schmöker, aber danach winkt eine Verfilmung mit Starbesetzung: Ansel Elgrot, Nicole Kidman und Finn Wolfhard (Stranger Things) besetzen die Hauptrollen. Hier geht's zum Trailer.