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Doris Dörrie – von Seltersduschen, Reisesucht und Malventee

In Die Heldin reist erzählt Doris Dörrie persönlich und mitreißend von drei Reisen – nach San Francisco, nach Japan und nach Marokko – und davon, als Frau alleine in der Welt unterwegs zu sein. Sich dem Ungewissen, Fremden auszusetzen heißt immer auch, den eigenen Ängsten, Abhängigkeiten, Verlusten ins Auge zu sehen. Und dabei zur Heldin der eigenen Geschichte zu werden.

Doris Dörrie im Gespräch mit Florian Valerius, Instagram-Live bei Hugendubel, 24.3.2022. 

Wieso seit ihrer Kindheit das Reisen, neben dem Spaßfaktor, auch eine Art Verpflichtung für sie ist und wie sich die Reisesucht ihrer Eltern erklären könnte, das erfahren wir in diesem Blogbeitrag.

Foto: © Mathias Bothor / Photoselection

Zwischen Hannover und San Francisco

(Auszug Seite 7 bis 9)

»Im Jahr 2019 bin ich in die USA, nach Japan und Marokko gereist. Niemals hätte ich mir vorstellen
können, dass es für längere Zeit die letzten Reisen gewesen sein sollten. Noch hatte niemand vom Coronavirus gehört. Noch war George Floyd am Leben. Noch schien mein Leben ganz so zu sein wie in all den Jahren zuvor: fast immer unterwegs, selten mehr als drei Monate zu Hause. 
    Ich flog nach San Francisco zu einem Filmfestival und freute mich auf diese kurze Reise, ein kleines Abenteuer. Unterwegs zu sein war mein Idealzustand, unterwegs fühlte ich mich von mir selbst befreit, und gleichzeitig träumte ich unbeirrt weiter davon, in der Fremde eine andere, bessere Version meiner selbst zu werden. Der deutsche Traum der Bildungsreise. Meine Eltern waren schon reisesüchtig, was eng mit ihren Erfahrungen in Nazideutschland verknüpft war. Uns wurde früh beigebracht, dass Reisen nicht nur Spaß macht, sondern fast eine Verpflichtung ist, um den eigenen Horizont zu erweitern. Als Kinder waren wir dazu nur bedingt bereit. Meine Schwestern und ich fürchteten die endlosen Autofahrten zu viert auf dem Rücksitz, bei denen wir zum Schutz vor der brennenden Sonne Tücher vor die Scheiben hängten und rein gar nichts von der Umgebung sahen. Meine Mutter rief immer wieder: Schaut doch mal aus dem Fenster, wie schön es hier ist! Aber wir starrten lieber auf unsere nackten Knie, während wir uns in engen Serpentinen über die Alpenpässe quälten. Regelmäßig wurde uns schlecht, und meine Mutter reichte uns Plastikbeutel nach hinten, in die wir den blassrosa, lauwarmen Malventee spien, den es nur auf diesen Autoreisen gab. Wenn wir stritten, schüttelte mein Vater eine Flasche Selterswasser und hielt sie, ohne den Blick von der Straße zu wenden, nach hinten, um unsere Mütchen zu kühlen. Dass wir endlich Italien erreicht hatten, merkten wir daran, dass es heiß wurde und unsere Schenkel unangenehm aneinanderklebten. Wir stritten nun absichtlich, um eine kleine Seltersdusche abzubekommen, aber da gab es meist keinen Nachschub mehr. Wenn wir Glück hatten, hielten wir an einer Tankstelle mit dem Logo eines sechsbeinigen Hundes, der Feuer spuckte, und taumelten in einen Traum von Raststätte, in der es frische Pizza gab und rabenschwarzen Espresso für die Eltern, die auf einmal ganz verwandelt schienen, leichtfüßiger, lustiger, fast schon verwegen – und mit einem Schlag waren alle Reisequalen vergessen, und unser Horizont fühlte sich bereits enorm weit an. Wie konnte man nur darauf verzichten? Wer nicht reiste, galt als engstirnig und wunderlich – denn wer wollte nicht so oft wie möglich aus Hannover herauskommen?«

Photo by Varun Yadav on Unsplash
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Die Heldin reist

(Der Textauszug in diesem Beitrag stammt aus dem Buch Die Heldin reist von Doris Dörrie, Copyright © 2022 Diogenes Verlag AG Zürich)

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