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»Familie beruht auf unseren Träumen, Wunschvorstellungen und Projektionen.«
Ein Gespräch mit Caroline Albertine Minor

In ihrem neuen Roman Der Panzer des Hummers erzählt Caroline Albertine Minor die Geschichte der drei Geschwister der Familie Gabel, die sich nach dem Tod der Eltern auseinandergelebt haben. Ein zärtliches und beglückendes Buch über die Suche nach Familie, Vergangenheit und Identität. Im Gespräch erzählt sie, wie ein Vortrag sie zu der Geschichte inspirierte und über die Veränderung des Konzepts ›Familie‹.

Foto: © Martin Reinard

Worum geht es in Ihrem Roman?

Caroline Albertine Minor: Der Roman erzählt von einer Familie, die ihren gemeinsamen Kern verloren hat und nun in alle Himmelsrichtungen verteilt lebt. Es ist eine Geschichte über die regenerierende Macht bedingungsloser Liebe und die manchmal irreparablen Folgen eines Vertrauensbruchs zwischen Eltern und Kind. Während fünf Tagen im April lernen die Leser*innen die Geschwister Ea, Sidsel und Niels Gabel kennen und begleiten sie für eine Weile – und dadurch, so hoffe ich, erhalten sie einen Einblick in das, was einmal war und was vielleicht wieder sein könnte. Tatsächlich ist die Geschichte nach der mittlerweile bekannten »Carrier Bag Theory« von Usula K. Le Guin geschrieben: Der Panzer des Hummers ist ein Gefäß, das ich mit allem gefüllt habe, was mich interessiert: Elternsein, Gleichzeitigkeit, die Vorstellungen über den Tod und das Leben danach. Der Wunsch nach einer Beziehung, die Unmöglichkeit einer Beziehung. Im Buch gibt es Verbindungen, die ich bewusst geschaffen habe, und dann gibt es welche, die von allein im Text entstanden sind. Letztere sind bei weitem interessanter.

Der Panzer des Hummers ist ein moderner Familienroman. Was bedeutet Familie für Sie? Und was kann eine Familie jenseits der konventionellen Formen des Zusammenlebens sein?

Caroline Albertine Minor: Wenn ich an das Wort »Familie« denke, ist das nächste Wort, das mir einfällt, »ideal«. Ich glaube, dass die Familie heute als Institution, zumindest in der dänischen Gesellschaft, weniger denn je auf Zweckmäßigkeit und Bedürfnissen basiert. Sie beruht weniger auf unseren tatsächlichen ökonomischen und existentiellen Bedürfnissen, als vielmehr auf unseren Träumen, Wunschvorstellungen und Projektionen. Das ist, nach meiner Erfahrung zumindest, eine sehr schwierige Kombination. Wir wollen sie, aber wir brauchen sie nicht. Und wir wollen, dass Familie auf eine bestimmte Weise aussieht und sich auf eine bestimmte Art anfühlt, damit sie »richtig« ist. Und wenn es uns nicht gelingt diese Version von Familie zu erschaffen, dann sind wir dazu geneigt, dies als ein Scheitern zu sehen.

Was soll der Titel des Romans zum Ausdruck bringen? Wofür ist der titelgebende Hummer eine Metapher?

Caroline Albertine Minor: ja, genau wie Niels bin ich billigen Allegorien gegenüber skeptisch und bin mir nicht sicher, ob emotionale Wachstumsschmerzen wirklich erklärt werden können, indem man auf das Leben eines Schalentiers verweist. Aber ich mag den Klang der Wörter auf Dänisch, und es macht einen neugierig.

Wie kam Ihnen die Idee für den Roman?

Caroline Albertine Minor: Ich habe einen Vortrag besucht, in dem u.a. gesagt wurde, dass man alles über eine Gesellschaft erfahren kann, indem man sich anschaut, wie sie den Fremden, den Vaterlosen und die Witwe behandelt. Später habe ich dann herausgefunden, dass dies aus der Bibel stammt:

»Wenn du deinen Weinberg gelesen hast, so sollst du nicht nachlesen; es soll des Fremdlings, des Waisen und der Witwe sein.
Und sollst gedenken, daß du Knecht in Ägyptenland gewesen bist; darum gebiete ich dir, daß du solches tust.«

Diese einfache und ziemlich schöne Vorstellung, dass Menschen in gefährdeten Situationen ein Lackmustest für eine Gesellschaft sind, hat mich interessiert, und ich habe in mein Notizheft geschrieben: Der Fremde / Der Vaterlose / Die Witwe. Das war der erste Schritt. Ich begann zu überlegen wie ich diese Figuren als lebendige, vollwertige Charaktere porträtieren könnte, ohne dabei die Archetypen zu verlieren, und langsam kamen die drei Gabel-Geschwister zum Vorschein. Aber es ist nicht so, dass Ea, Sidsel und Niels je einem dieser Archetypen entsprechen, denn als die Geschichte wuchs, ist diese ursprüngliche Idee, die ein Art Gerüst für meine Gedanken war, in den Hintergrund getreten.

Wenn ich an das fertige Buch denke, sind diese drei Archetypen noch immer vorhanden, aber sie sind nicht mit einer bestimmten Figur verbunden. Vielmehr bewegen sie sich frei zwischen allen handelnden Charakteren als Potential an möglicher Verletzlichkeit, das alle Menschen in sich tragen.

Bild von Annie Spratt auf Unsplash.

Sie sind Mutter. Hat Sie das beim Schreiben dieses Romans sehr beeinflusst?

Caroline Albertine Minor: Ja, hat es. Ich glaube, mein Schreiben wird immer von meinen Kindern und ihrer Gegenwart in meinem Leben beeinflusst sein. Besonders im Hinblick auf diesen Roman finde ich die Erfahrung, Eltern zu werden und gleichzeitig damit zu kämpfen, seine eigene Geschichte als Liebende am Leben zu erhalten, faszinierend. Es bedeutet, dass auch meine Mutter und mein Vater ein Leben davor hatten. Ein Leben, das man im Innern unterbringen musste und das dann auch noch das Leben als Eltern nähren sollte – nur: Wie macht man das? Geht das überhaupt, und sollte man das überhaupt versuchen?

Warum schreiben Sie? Und wovon lassen Sie sich beim Schreiben leiten?

Caroline Albertine Minor: Es gibt darauf verschiedene Antworten, aber ich denke, die zutreffendste ist: weil ich auf dies Weise besser denken kann. Und auch: weil es das drohende Gefühl der Sinnlosigkeit vertreibt, zumindest eine Zeitlang.

 

(Das Gespräch führte Stephanie Uhlig, März 2021 / (c) by Diogenes Verlag AG Zürich)

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