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Hugo Loetscher – 10. Todestag am 18.8.2019.
Ein Gespräch mit Peter von Matt

Wann haben Sie Hugo Loetscher kennengelernt?

Peter von Matt: Den Zeitpunkt weiß ich nicht mehr, aber den Ort sehe ich noch genau vor mir. Meine Frau und ich waren beim Diogenes Verleger Daniel Keel und seiner Frau Anna eingeladen, zusammen mit Hugo Loetscher. Die zwei Söhne waren noch halbwüchsig. Wir hatten Loetschers Schreiben von Anfang an verfolgt und freuten uns über die Begegnung. Mir fiel sofort die Geschwindigkeit seines Redens auf. Sie passte zu seiner Aufmerksamkeit für alles, was geschah, um ihn herum und in der ganzen Welt. Von daher stammte ja auch seine Begabung als Journalist. Im schnellen Reden war er das krasse Gegenteil zu seinem besten Freund, Friedrich Dürrenmatt. Dieser sprach noch langsamer, als es die Berner ohnehin schon tun, konnte dann aber nicht mehr aufhören. Hingegen glichen sich beide in ihrer Leibesfülle, die mit einer ebenso ausgeprägten Genussfähigkeit ursächlich zusammenhing.

Was war die Rolle, die Position Loetschers in der Schweizer Literatur?

Er gehörte zu jener Generation von Schweizer Schriftstellern, die unmittelbar nach dem internationalen Durchbruch von Frisch und Dürrenmatt (Stiller 1954, Der Besuch der alten Dame 1956) auftraten. Dazu zählten insbesondere Otto F. Walter, Walter Matthias Diggelmann und Jörg Steiner, auch die Lyrikerin Erika Burkart. Diese Jüngeren hatten einerseits die zwei Giganten vor der Nase, deren Ruhm mit Frischs Andorra (1961) und Dürrenmatts Die Physiker (1962) den absoluten Höhepunkt erreichte und schlechthin nicht zu übertreffen war; andererseits war die Schweiz damit zu einem leuchtenden Literaturland geworden, wie sie es seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht mehr gewesen war. Das öffnete den neuen Talenten viele Türen. Loetscher war von dieser Generation der ausgeprägteste Intellektuelle, in Paris geschult, mit dem Modell von Sartre und Camus vor Augen. Er war auch am meisten von allen in den Medien präsent, als Essayist, Kritiker und ironischer Kommentator, scharfäugig und mit treffendem Witz. 

Welches Werk würden Sie besonders zum Lesen oder Wiederlesen empfehlen?

Besonderes Vergnügen machten mir die zwei locker erzählten Bände Der Waschküchenschlüssel, eine Reihe amüsant-frecher Auseinandersetzungen mit der alltäglichen Schweiz, und Die Fliege und die Suppe, eine glänzende Kollektion moderner Tierfabeln. Es sind dies sicher nicht seine ehrgeizigsten literarischen Unternehmen, aber sie zeugen von seiner artistischen Beweglichkeit. Man sieht daran, dass Hugo Loetscher das Schreiben selbst mehr vergnügt hat als der Gedanke an ein feierlich-unsterbliches Opus magnum. Unvergesslich ist für mich aber auch seine Erzählung Die Nachricht, von der kaum je gesprochen wird.

»Scharfäugig und mit treffendem Witz.«

Hugo Loetscher war der wahrscheinlich kosmopolitischste Schriftsteller der Schweiz, einer, der in seinem Leben und Werk in die ganze Welt, in alle Richtungen aufgebrochen ist. Hat er früher wahrgenommen als die meisten, wie vernetzt und globalisiert unsere Welt geworden ist?

Mit dem Superlativ muss man vorsichtig sein. Es gibt da noch allerlei andere Reisende, nicht zuletzt schreibende Frauen wie Annemarie Schwarzenbach oder Ella Maillart, auch Katharina von Arx, und unter den Männern insbesondere Blaise Cendrars. Ausfahrt und Heimkehr ist seit dem 18. Jahrhundert eines der produktivsten Erzählmuster der Schweizer Literatur. Insofern verkörpert Hugo Loetscher die eigenständige Variante eines vielfältigen Expeditionsdiskurses. Aber er gewinnt diesem reisenden Schreiben und schreibenden Reisen Spielformen ab, die es so noch nie gegeben hat. Ich denke etwa an das bewegende Buch Wunderwelt. Eine brasilianische Begegnung. Und an seiner heftigen Sehnsucht nach fernen Ländern und seiner Leidenschaft zu reisen ist nicht zu zweifeln. Dazu treiben ihn private Lockungen ebenso wie die politische und kulturelle Neugier. Und immer findet er neue Möglichkeiten der literarischen Verarbeitung. Er hat nie aufgehört, sein Publikum mit unerwarteten Themen und Techniken zu überraschen. Dies bewirkt, dass wir heute, wo der größte Teil seines Gesamtwerks jederzeit greifbar ist, vor einem Schatzhaus des vielfältigen Erzählens stehen.

Peter von Matt (Foto: © Yvonne Böhler)

Peter von Matt

Peter von Matt, geboren 1937 in Luzern, ist Literaturwissenschaftler und Autor zahlreicher Bücher (u.a. Verkommene Söhne, missratene Töchter. Familiendesaster in der Literatur; Die Intrige. Theorie und Praxis der Hinterlist; Sieben Küsse. Glück und Unglück in der Literatur). Bis 2002 war er Professor für Germanistik an der Universität Zürich.  Er ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt, der Akademie der Künste Berlin und der Sächsischen Akademie der Künste. 2012 wurde Peter von Matt für Das Kalb vor der Gotthardpost. Zur Literatur und Politik der Schweiz mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet. 2014 erhielt er den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main. Er lebt bei Zürich.

Loetschers bekannteste Figur ist der Immune, der im Zentrum seiner Romane Der Immune und Die Papiere des Immunen steht. Was hat es mit dieser Immunität auf sich, die der Immune sich erarbeitet?

Der Begriff des Immunen ist bezeichnend für die Jahrgänge, zu denen Hugo Loetscher gehört. Dadurch unterscheiden sich die Autoren seiner Generation klar von den wenig später auftretenden »Achtundsechzigern«, welche die Siebzigerjahre weithin dominierten. Die kritischen Intellektuellen der Fünfziger- und Sechzigerjahre waren betonte Einzelgänger. Protestmärsche und Massenveranstaltungen waren für sie undenkbar. Das roch noch zu sehr nach den politischen Spektakeln der Nazizeit mit ihrem kollektiven Gebrüll. Erst die Studentenbewegung führte solches Treiben wieder ein. Für die engagierten Intellektuellen der Nachkriegszeit gab es damals die Bezeichnung »Nonkonformisten«, die heute leider vergessen ist. Sie verstanden sich als Selbstdenker, die sich den gesellschaftlichen und politischen Normen der Adenauerzeit nicht unterwarfen und gezielt daran Kritik übten. Loetschers Selbstdefinition als »Immuner« trifft genau auf diese Haltung zu, nur richtete sie sich 1975, als der Roman mit diesem Titel erschien, ebenso sehr gegen die Exzesse der Studentenbewegung und ihrer aggressiven Umzüge wie gegen die starren Normen der bürgerlichen Schweiz. Es ist bezeichnend, dass er im Auftakt des Buches gleich eine minuziöse Beschreibung des Pariser Studentenaufstands vom Mai 1968 gibt, den er miterlebt hatte. Er ist Augenzeuge, als das Théâtre de l’Odéon zum Zentrum der Rebellion erklärt wird, schaut dem Treiben im Theater zu, hellwach, aber ohne mitzumachen. Diese acht Seiten sind vielleicht die genauste Bestimmung dessen, was er unter dem Immunen versteht, also seiner eigenen Person. Er tritt in keine Kolonnen ein, ist aber scharfäugiger Beobachter, der reflektiert, was er sieht, und das Geschaute und Gedachte in eine genaue Prosa übersetzt. Hugo Loetscher ist und bleibt ein faszinierender Zeuge seiner Zeit.

 

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Hugo Loetscher, geboren 1929 in Zürich, gestorben 2009 ebendort. Seit 1965 bereiste er regelmäßig Lateinamerika, Südostasien und die USA, seit 1969 war er als freier Schriftsteller und Publizist tätig. Hugo Loetscher war Gastdozent an Universitäten in der Schweiz, den USA, Deutschland und Portugal sowie Mitglied der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung. 1992 wurde er mit dem Großen Schiller-Preis der Schweizerischen Schillerstiftung ausgezeichnet.

War meine Zeit meine Zeit erschien erstmals im September 2009. Es ist auch als eBook erhältlich.

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