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»Die Geschichte, die mir vorschwebte, gab es nicht – also musste ich sie selber schreiben.«

Warum er sich schon früh für Zauberei interessierte, wer ihn zu den Hauptfiguren in seinem Romandebüt Der Trick inspirierte und wie es sich anfühlte, als 20-Jähriger mit nur zwei Koffern nach Los Angeles auszwandern: Dies und noch viel mehr erzählt uns Emanuel Bergmann im Interview.

Foto: Philipp Rohner / © Diogenes Verlag

In Ihrem Debüt-Roman Der Trick ist die Hauptfigur ein Bühnenzauberer. Können Sie selbst zaubern?

Nein, ich bin ein Tollpatsch. Wenn ich einen Hasen herzaubern würde, würde er mir wahrscheinlich in den Finger beißen und weghoppeln. Als Kind war ich aber von der Zauberkunst sehr fasziniert. Das ging uns wahrscheinlich allen so. Mein Vater hat mir, als ich noch sehr klein war, einen Trick gezeigt, bei dem er scheinbar seinen Daumen von der Hand abgetrennt hat. Davon träume ich heute noch! Ich habe meine Eltern bekniet, mir einen Zauberkasten zu kaufen, und dann mussten meine Verwandten ständig meine miserablen Zauber-Aufführungen ertragen. Als mein Vater mir dann gezeigt hat, wie der Trick mit dem Daumen funktioniert, war das noch faszinierender. Es war keine Entzauberung, sondern die Einsicht, dass es Mechanismen hinter den Mysterien gibt, hinter die man erst kommen muss.

Ihr Roman hat zwei Erzählstränge: Da ist einerseits die Geschichte von Mosche Goldenhirsch aus Prag, der Ende der dreißiger Jahre in Berlin ein berühmter Zauberer wird unter dem Namen »Der große Zabbatini«. Und andererseits die Geschichte des elfjährigen Max, der im heutigen Los Angeles lebt und dem alt gewordenen Mosche begegnet. Die eine Geschichte spielt in Europa, die andere in den USA. Welche Geschichte stand am Anfang des Romans, womit haben Sie angefangen?

Ich wollte eine Geschichte schreiben, die beides in sich vereint, weil ich in mir selbst einen Widerspruch verspüre. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, lebe aber seit über zwanzig Jahren in Los Angeles. Auf der einen Seite spielt sich mein Leben also hier ab, in einer amerikanischen Stadt voller Chaos und fremder Kulturen, auf der anderen Seite fühle ich mich immer noch verwurzelt im alten Europa, wo man ständig auf die Relikte, Monumente, Ruinen der Geschichte stößt. Wenn ich in Kalifornien bin, fehlt mir Deutschland immer sehr. Aber wenn ich dann in Deutschland bin, geht mir nach einer Weile alles auf den Keks. Die Deutschen halten es für eine Tugend, schlechtgelaunt zu sein. Ich habe immer das Gefühl, zwischen zwei Stühlen zu sitzen. In dieser Kluft wollte ich die Geschichte ansiedeln.

Wie entstand die Idee zu diesem Roman?

Da gab es ganz verschiedene Impulse. Unter anderem habe ich in einem jüdischen Monatsmagazin hier in Los Angeles einen Artikel über die Zauberkünstler im Berlin der dreißiger Jahre gelesen, den ich unglaublich interessant fand. Ich kenne das Milieu der Zauberer in Los Angeles ganz gut und war überrascht, wie ähnlich das damals war, und dachte mir, das wäre ja eine wunderbare Brücke zwischen den beiden Welten: das Milieu der Zauberei, und dazu der Gedanke der Emigration. Außerdem hatte ich damals einige Filme über Zauberkünstler gesehen, die ich sehr schlecht fand, klischiert, unglaubwürdig. Die Geschichte, dir mir vorschwebte, gab es einfach nicht, weder als Buch noch als Film. Also musste ich sie selber schreiben.

Alte Werbeplakate der Zauberkünstler Herrmann the Great (1844 – 1896), Harry Kellar (1849 – 1922) und Howard Thurston (1869 – 1936), von denen das Buchcover von ›Der Trick‹ inspiriert ist.

Wie kommt es, dass Sie sich in der Zauberszene so gut auskennen?

Meine Exfrau war einige Zeit die Assistentin eines Bühnenzauberers, dadurch kam ich in das Milieu hinein. Ich habe viele Zauberer kennengelernt, alte und junge. Ich war häufig im Magic Castle, das ist ein Klub, der auch im Roman vorkommt. Da sitzen die Zauberer, erzählen sich Anekdoten aus vergangenen Zeiten oder giften sich an. Ich habe dort mal ein Duell der Magier miterlebt, zwei betrunkene Zauberer haben sich an der Bar gegenseitig angepöbelt. Zabbatini basiert unter anderem auf einem steinalten Varieté-Künstler, den ich mal auf einer Bühne in einem heruntergekommenen Theater in Downtown Los Angeles gesehen habe. Seine Show war ziemlich dämlich, er wurde vom Publikum völlig ignoriert. Und er tat mir leid.

Und wie kam die zweite Hauptfigur des Romans, der elfjährige Max, ins Spiel?

Max bin im Grunde ich selbst. So war ich als Kind. Leichtgläubig und stur wie ein Bock. Es hat sich nicht viel geändert. Außerdem gibt es kein dankbareres Publikum für Zauberer als Kinder. Als Kind glaubst du noch an Wunder, an den Weihnachtsmann, an den Osterhasen. Die Eltern von Max stehen kurz vor der Scheidung, und der Junge ist fest davon überzeugt, dass der Große Zabbatini sie mit einem Liebeszauber wieder zusammenbringen kann. Beide Charaktere, Max und Zabbatini, haben jahrelang irgendwo in meinen Gedanken vor sich hingeschlummert, und eines Tages waren sie einfach da, völlig greifbar. Manchmal erscheinen mir meine Figuren im Traum und sprechen mit mir. Besonders Max hat mir eine Weile lang keine ruhige Nacht gegönnt, er hat ständig gequengelt.

Foto: Philipp Rohner / © Diogenes Verlag

Wie sind Sie nach Los Angeles gekommen?

Mit dem Flugzeug und zwei schweren Koffern. Ich war zwanzig, ich wollte hier Film studieren. Ich sollte bei einem Bekannten übernachten, aber der hat das vergessen und war nicht da. Ich bin mit meinen Koffern durch die Stadt gelaufen, saß stundenlang in irgendwelchen Coffeeshops und war am Verzweifeln. Irgendwann ging ich in ein Motel am Sunset Boulevard, der Mann am Empfang hatte Mitleid mit mir, ich durfte dort eine Nacht bleiben, obwohl ich das Zimmer nicht bezahlen konnte. So fing es an. Es war eine aufregende Zeit. Ich habe viele Jahre am Rande der Filmindustrie gearbeitet und mich so durchgekrebst. Film hat mich, genau wie Zauberei, seit meiner Kindheit fasziniert. Aber im Laufe der Zeit musste ich einsehen, dass mir für das Filmemachen die Begabung fehlt. Außerdem ist Schreiben viel schöner. Beim Film muss man immer mit Widrigkeiten kämpfen, da hat man wieder das Problem der weghoppelnden Hasen. Aber wenn man schreibt, dann kann man einfach ins warme Wasser springen und sich treiben lassen. Man kann machen, was man will, es gibt keine Grenzen. Die einzige Grenze ist die eigene Vorstellungskraft, und die ist unerschöpflich.

Gibt es Parallelen zwischen der Zauberei und der Literatur?

Beides dient der Verzauberung der Wirklichkeit. Es gibt in dem Roman eine Szene, wo erklärt wird, dass ein Zaubertrick wie eine Geschichte strukturiert ist. Geschichtenerzählen und Zauberei sind beide eine Form der Lüge. Eine Lüge, die wir brauchen, um nicht am Leben zu verzweifeln. Im Roman heißt es: eine schöne Lüge. Das beschäftigt mich sehr, das Thema der notwendigen, der schönen Lüge. Das Leben ist grausam, das Leben hat keine Struktur, wir alle kennen Schmerz, wir alle kennen Verlust und Verzweiflung. Und das Schreckliche ist, dass es so sinnlos ist. Es gibt keine höhere Erkenntnis, es gibt keine Belohnung, keinen Lutscher am Ende wie beim Zahnarzt. Deshalb müssen wir aus diesem Leid, in dem wir uns befinden, eine narrative Struktur erschaffen, eine Geschichte. Weil wir sonst am Chaos verzweifeln würden. Unser Lutscher ist die Lüge.

Irene Ware and Bela Lugosi im Film ›Chandu the Magician‹ (1932). (Foto: By Fox Film Corporation (Own work Jen winter) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons).

 

Emanuel Bergmann ist 1972 in Saarbrücken geboren. Nach dem Abitur ging er nach Los Angeles, um dort Film und Journalismus zu studieren. Er war viele Jahre lang für verschiedene Filmstudios, Produktionsfirmen und Verlage in den USA und Deutschland tätig. Derzeit unterrichtet er Deutsch, übersetzt Bücher und schreibt Artikel für diverse deutsche Medien. Der Trick ist sein erster Roman (erschienen am 24. Februar 2016, auch als eBook und als Hörbuch, eingelesen von Stefan Kaminski).

Im März ist Emanuel Bergmann im Rahmen seiner Lesereise in Deutschland, Österreich und in der Schweiz live zu erleben.

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