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»Für den deutschsprachigen Leser ist der Balkan ein unverständliches Knäuel aus bösen Ereignissen.«

Wir treffen Christian Schünemann und seine Co-Autorin Jelena Volic zum Gespräch über ihren neuen Roman Pfingstrosenrot. Die Belgrader Kriminologin Milena Lukin kommt in ihrem zweiten Fall skandalösen Machenschaften auf die Spur, die bis in hohe Kreise der serbischen und europäischen Politik reichen. Wieder ein atmosphärischer, packender Krimi, der diesmal ins Herz des Balkans führt: in den Kosovo.

Fotos: Nathan Beck/© Diogenes Verlag; © Jens Schünemann

Im Vorspann zu Ihrem neuen Roman schreiben Sie, auch der zweite Fall für Milena Lukin beruhe auf einer wahren Begebenheit und werde von Ihnen dann fiktiv weitergeführt und ausgekleidet. Wie finden Sie Ihre Fälle?

Volić: Die realen Fälle, von denen wir ausgehen und die uns inspirieren, unsere Geschichte zu spinnen, haben irgendwann die serbische Öffentlichkeit erschüttert. Man kennt sie, aber man spricht nicht darüber. Vor allem sind das die unaufgeklärten Fälle, die vermeintlich politisch motiviert waren.

Schünemann: Wir arbeiten uns durch die damalige Presseberichterstattung und beginnen, einen fiktiven Plot zu entwickeln: Was und wie hätte es damals geschehen können? Manchmal denken wir, dass unsere Vorstellung gar nicht weit entfernt ist von der nicht aufgedeckten Wahrheit. 

Wie kommen Sie zu Ihren aufsehenerregenden Schlussfolgerungen, was wirklich dahinterstecken könnte? Haben Sie viel recherchiert, oder lag das sozusagen auf der Hand?

Schünemann: Wir überlegen lange: Was könnte hinter der Tat gesteckt haben? Welche Leute aus welchem Milieu könnten involviert gewesen sein, und was ist mit den Hinterbliebenen? So entwickeln wir eine fiktive Geschichte und handelnde Personen. Diese Personen versuchen wir uns mit ihren Biographien zu vergegenwärtigen. Wenn wir das beisammen, verstanden und durchdrungen haben, schreiben wir den Roman. Und im besten Fall schreibt er sich dann wie von allein.  

Volić: Außerdem versuchen wir, die politische Landschaft wirklichkeitsgetreu wiederzugeben. Für den deutschsprachigen Leser ist der Balkan womöglich ein unverständliches Knäuel aus bösen und gespenstischen Ereignissen. Wir wollen, dass unsere Leser verstehen, warum und wieso die Menschen dort so handeln, wie sie handeln.

Eine Legende im Kosovo besagt, dass »die Pfingstrose nur hier in solch prächtigen Rottönen blühen würde, weil der Boden mit so viel Blut getränkt ist.«. (Foto: Poupou l'quourouce, [CC-BY-SA-3.0], via Wikimedia Commons)

Wie arbeiten Sie beide miteinander?

Schünemann: Reden, reden, reden. Und wenn alles gesagt ist: Schreiben, schreiben, schreiben.

Volić: Das ist eigentlich ein wunderbares Spiel: Wir spazieren durch Belgrad, besuchen die Orte, die uns interessant erscheinen, erzählen uns die wahren und die möglichen Geschichten, sitzen am Küchentisch oder in Cafés in Belgrad und Berlin und spinnen … Und dann steigen langsam die Figuren auf. Sie werden lebendig und beginnen, sich zu bewegen. Ich erzähle viel von der Geschichte Serbiens, viel zu viel, und Christian hört geduldig zu … Dann übernimmt er und entwickelt die möglichen fiktiven Ereignisse weiter. Wir haben Phasen, in denen wir sehr intensiv miteinander kommunizieren, und dann gibt es Phasen, in denen jeder allein am Schreibtisch vor sich hin brütet.

Ihr Roman ist eine schöne Synthese aus großer Geschichte und kleinen Geschichten – der Balkanstaaten, aber auch Europas – und einer guten Erzählökonomie: Kann es sein, dass sich da zwei Mentalitäten wunderbar ergänzen?

Volić: Ich glaube nicht an »Mentalitäten«!

Schünemann: Vielleicht stößt bei uns tatsächlich das Südslawische auf das Norddeutsche. Wenn Jelena die großen Erzählbögen und Biographien hat, bin ich vielleicht derjenige, der die Informationen ökonomisch auf den Roman verteilt. Aber manchmal ist es auch umgekehrt.

Volić: Wir sind unterschiedliche Charaktere, aber wir kennen uns gut. Natürlich ist die Tatsache, dass wir aus zwei verschiedenen Sprachtraditionen kommen, bereichernd. Aus dieser Kreuzung kann dann eine komplexere und tiefere Aussage entstehen.

Die Republik Kosovo ist seit 2003 eine Teilregion der Republik Serbien. Sie hat etwa 1,8 Millionen Einwohner und gilt als stabilisiertes De-facto-Regime. Hauptstadt ist Priština (rechtes Bild, Foto: Arbenllapashtica (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons).

Wie kommen Sie zu diesen wunderbaren Figuren, die wirken, als seien sie direkt aus dem Leben gegriffen, im Guten wie im Schlechten: die alte Juliana Spajić, der Onkel Miodrag, der unangenehme Staatssekretär Slobodan Božović und seine Frau Božena und last but not least Milena Lukin selbst?

Volić: Unsere Figuren sind die Essenz unserer Lebenserfahrung: Alle Menschen, die wir in unserem Leben getroffen, geliebt haben – auch kurze Begegnungen mit Unbekannten, die uns aufgefallen sind: Sie sind alle irgendwie da. Manchmal sind es nur Gesten, ein merkwürdiger Tonfall, ein schiefer Mundwinkel, die sich einprägen. Im richtigen Augenblick tauchen sie auf und fügen sich wie Puzzlesteine, wie von selbst, zusammen und ergeben ein Bild. Das Bild füllt sich mit einer fiktiven Seele: Zu dem schiefen Mundwinkel passen bestimmte Charakteristika, zu einem bestimmten Charakterzug passen dann gewisse Bewegungen. So entstehen unsere Figuren.

Schünemann: Irgendwann sind die Figuren da und nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken. Ich kann mir, zum Beispiel, gar nicht mehr vorstellen, dass es Milena in der längsten Zeit unseres Lebens gar nicht gegeben hat.

Die serbische Küche spielt eine große Rolle in Ihren Romanen. Kochen Sie gern?

Volić: Ich esse gerne und koche gerne. Vor allem durch Kochen drücke ich meine Liebe aus. In dem, was ich auftische, spiegelt sich meine Sympathie wider. Oder meine Antipathie. Aber Letzteres passiert eher selten.

Schünemann: Bei mir gibt es eher Spiegelei auf Brot, aber Jelena ist eine begnadete Köchin. Wenn ich bei ihr zu Besuch in Belgrad bin, öffnet sie ihre Vorratsschränke. Dann wird gekocht und aufgetischt: Steinpilze, Trüffel, Kalbsfilet, Eis mit heißen Blaubeeren. Und der passende Wein aus serbischer Produktion steht natürlich auch immer parat. Was wir dabei nicht vergessen: das Rezept in allen Details aufzuschreiben. Denn das kommt dann im nächsten Roman auch bei Milena Lukin auf den Tisch – gekocht von Mutter Vera. Aber vielleicht stellt sich demnächst auch mal Milena an den Herd.

Seit dem Verfall Jugoslawiens strebt die mehrheitlich albanischstämmige Bevölkerung des Kosovo die Unabhängigkeit von Serbien an (vgl. Index Kosovo-Konflikt).

Sie sind kritisch sowohl der serbischen als auch der europäischen Politik gegenüber. Was liegt Ihnen besonders am Herzen?

Volić: Wir wollen zeigen, wie sich der einfache Mensch in jeweils besonderen politischen und historischen Umständen bewegt. Wir wollen mit unseren Krimis (und nicht umsonst sind es Krimis) zeigen, dass Mord, Betrug oder Verrat keine nationalen Eigenschaften sind. Die Serben sind so liebenswert und so böse wie alle anderen Menschen auch. Was besonders ist, sind die Umstände: das Land, die Geschichte, die Kultur. Der Mord, komischerweise, ist international verständlich. 

Schünemann: Und dabei haben wir natürlich auch das Ziel, zu unterhalten.

 

Der Roman Pfingstrosenrot. Ein Fall für Milena Lukin von Schünemann & Volic ist am 24.2.2016 erschienen. Auch als ebook.

Christian Schünemann, geboren 1968 in Bremen, studierte Slawistik in Berlin und Sankt Petersburg, arbeitete in Moskau und Bosnien-Herzegowina und absolvierte die Evangelische Journalistenschule in Berlin, wo er auch lebt. Er hat im Diogenes Verlag bereits vier Kriminalromane um den Münchner Starfrisör und Amateurdetektiv Tomas Prinz veröffentlicht.

Jelena Volic, geboren in Belgrad, studierte Allgemeine Literaturwissenschaft und Germanistik in Belgrad, Münster und Berlin. Mitarbeiterin in diversen Foren, die sich mit Serbien im europäischen Einigungsprozess befassen. Jelena Volic lehrt in Belgrad Neuere deutsche Literatur und Kulturgeschichte und ist Expertin für deutsch-serbische Beziehungen. Sie lebt in Belgrad und Berlin.

Das Autorenduo ist ab März auf Lesereise.

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