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»Mord ist nicht die einzige Art, auf Journalisten Druck auszuüben.«
Ein Interview mit Sasha Filipenko

Nach Rote Kreuze und Der ehemalige Sohn legt Sasha Filipenko mit Die Jagd einen weiteren Roman vor, in dem er abermals als mutiger Kritiker die Zustände in Russland und seinem Heimatland Belarus verhandelt. Im Diogenes Interview prangert der Autor den Umgang der Machthaber mit den Kritiker:innen des Systems an. Wir erfahren darüber hinaus, wie dieser Roman dort 2016 aufgenommen wurde und weshalb er eine ganz bestimmte Form des Erzählens gewählt hat. 

Foto: Lukas Lienhard / © Diogenes Verlag

Dass Sie ein Kritiker der Zustände in Russland und Ihrem Heimatland Belarus sind, haben Sie bereits mit Ihren beiden 2019 und 2020 auf Deutsch erschienen Romanen Rote Kreuze und Der ehemalige Sohn bewiesen. Ihr neuer Roman Die Jagd handelt nun vom Umgang der Machthaber mit ebendiesen Kritikern. Inwieweit schildern Sie darin auch Ihre eigenen Erfahrungen?

Sasha Filipenko: In Belarus wurde die Universität, an der ich studiert habe, geschlossen, in Russland meine Fernsehsendung eingestellt. Jetzt will man mir in Belarus allein dafür, dass ich Bücher und offene Briefe in der europäischen Presse schreibe, die Staatsbürgerschaft entziehen und mich ins Gefängnis werfen (ich weiß nicht, in welcher Reihenfolge). Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich zeigen wollte, dass Mord nicht die einzige Art ist, auf Journalisten Druck auszuüben. Reporter rücken in den Fokus, wenn sie ermordet werden, aber wenn sie jahrelang buchstäblich in den Wahnsinn getrieben werden, kräht kein Hahn danach. 

Der Roman erzählt auch vom Kampf zweier Journalisten. Während der eine nach der Wahrheit strebt, lässt sich der andere für Geld erkaufen. Sie haben ja selbst als Journalist gearbeitet – haben Sie beide Arten von Kollegen kennengelernt?

Sasha Filipenko: Ja, leider hatte ich mit beiden Sorten zu tun, nur zähle ich Zweitere nicht zu meinen Kollegen. Leider blüht aktuell in Russland genauso wie in Belarus die Propaganda. Mit der Hilfe von talentfreien, gewissenlosen Menschen, die genau wissen, dass sie in einer demokratischen Gesellschaft arbeitslos wären und wahrscheinlich sogar vor Gericht stehen würden. Daher sorgen sie mit aller Kraft dafür, dass die Zukunft nur ja nicht besser wird. 

Die Jagd ist ein schonungsloses Porträt des modernen Russland. Ist der Roman auch als eine persönliche Abrechnung von Ihnen zu verstehen?

Sasha Filipenko: Ich habe nie vor, mit jemandem abzurechnen. Ich möchte immer ein Dokument schaffen, eine Momentaufnahme. Der Protagonist dieses Buches schreibt eine Dystopie, und mit der Zeit wird uns klar, dass zwischen dem, was er schreibt, und dem, was in seinem Leben passiert, kein Unterschied besteht. Es ging mir darum zu zeigen, dass in Russland und Belarus eine richtige Dystopie eingetreten ist.

Auf Russisch ist der Roman schon 2016 erschienen, also zu einem Zeitpunkt, als Sie selbst noch in St. Petersburg lebten. Hat man Sie von offizieller Seite je dafür kritisiert? Wie wurde das Buch aufgenommen?

Sasha Filipenko: Nein, es gab keine offizielle Kritik. Dafür bekam ich mehrere literarische Auszeichnungen. Ich glaube, das war ein Versuch des progressiven Teils der russischen Gesellschaft, auf diese Problematik aufmerksam zu machen.

Bei der Lektüre von Die Jagd denkt man sofort an den Umgang mit Regimegegnern wie Alexej Nawalny. Was kann uns ein Roman sagen, das wir nicht bereits aus den Nachrichten wissen? Und kann Literatur überhaupt etwas zum Besseren verändern?

Sasha Filipenko: Die Literatur zeigt auf, wie bestimmte Mechanismen funktionieren, wie auf Journalisten Jagd gemacht wird. Dass auch Diktaturen sich weiterentwickeln, wenn es darum geht, unliebsame Journalisten loszuwerden: Sie nehmen nicht mehr den direkten Weg und erschießen sie, sondern gehen subtiler vor. Ich wollte zeigen, wie man heute Reporter ›elegant‹ zum Schweigen zu bringen versucht – deswegen auch die Sonatenform.

Der Roman ist aufgebaut wie eine Sonate, in vier Sätzen aus verschiedenen Erzählperspektiven, die bewusst durchkomponiert sind. Wie kamen Sie darauf?

Sasha Filipenko: Erstens hatte ich in meinem Leben schon viel mit Musik zu tun, habe Cello und Kontrabass gespielt, darum wollte ich schon lange einen Roman in Form eines Musikstücks schreiben, diese Form einhalten. Zweitens sind im Leben wie in der Musik die Pausen sehr wichtig. Dieses Buch ist eine Liebeserklärung an Virginia Woolf. Es stützt sich auf Auslassungen, Leerstellen, Pausen. Genauso wie im Leben, wo wir verschiedene Quellen befragen müssen, um ein umfassendes Bild zu bekommen, müssen wir auch hier alle Stimmen der Sonate hören. 

Was haben Literatur und Musik gemeinsam?

Sasha Filipenko: Sie lassen beide unsere Herzen höher schlagen!

Anton Quint, der Journalist, auf den im Roman Jagd gemacht wird, weigert sich, sein Heimatland zu verlassen, wie der Oligarch es fordert. Sie selbst leben zur Zeit vorübergehend in Deutschland. Wie fühlt sich das für Sie an?

Sasha Filipenko: Das kann ich schwer in ein, zwei Sätzen beantworten. Genau über diese Gefühle der Ohnmacht und Leere habe ich den Roman geschrieben. 

Haben Sie die Hoffnung, dass sich die Zustände und der Umgang der russischen Machthaber mit ihren Kritikern noch einmal ändern werden? Und was müsste der Westen dazu beitragen?

Sasha Filipenko: Ich glaube nicht, dass die Situation in nächster Zeit besser wird. In Russland wird es nur noch schlimmer. Übrigens wird es auch in Europa schlimmer. Schon jetzt sehen wir Druck auf Journalisten in Polen, der Slowakei und Ungarn. Zu glauben, es wird besser, während alle die Augen davor verschließen, ist naiv. Nein, leider, Journalisten werden weiterhin getötet und unter Druck gesetzt, genau wie das letzte Jahrhundert hindurch.

Die Fragen stellte Stephanie Uhlig, Dezember 2021. Aus dem Russischen von Ruth Altenhofer, © by Diogenes Verlag AG Zürich.

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